Als das Wildschwein und der Fuchs eine gerade schlüpfende Eintagsfliege entdecken, werden sie traurig. Nur einen Tag zum Leben zu haben, wie furchtbar muss das doch sein! Das Wildschwein möchte schnell davongehen, damit es die Eintagsfliege gar nicht erst kennenlernt und womöglich ins Herz schließt.
Niemand weint über das Leben – und deshalb muss auch niemand über den Tod weinen. (Der Fuchs)
Das Wildschwein ist so so betrübt, dass ihm die Tränen in die Augen steigen. Da haben sie die Gelegenheit verpasst, die Eintagsfliege ist geschlüpft, bezaubert sie sofort mit ihrem Wesen und möchte von ihnen wissen, warum sie traurig sind. Sie behaupten, überhaupt nicht traurig zu sein und kaspern herum, können aber die kleine Fliege nicht überzeugen. Dann will sich die Eintagsfliege verabschieden, sie habe einen vollen Terminkalender: einen Beruf lernen, heiraten, alt werden, eine Fremdsprache lernen. Das macht das Wildschwein noch trauriger. Schließlich lügen die beiden der Fliege etwas vor: Der Fuchs habe nur noch einen Tag zu leben und deswegen müsste er jetzt einen ganz besonderen Tag bekommen.
Wer nur einen Tag hat, braucht das ganze Glück in 24 Stunden. (Die Eintagsfliege)
Alles Glück in einen einzigen Tag packen? Dabei will die Fliege gerne helfen. Und so spielen die drei Freunde Schule, feiern Geburtstag, verheiraten Fuchs und Wildschwein, bekommen ein Kind (die Fliege) und haben viel Spaß. Doch dann verplappert sich der Fuchs und erwähnt, dass die Fliege eine Eintagsfliege ist. Entsetzt fliegt die Fliege davon, sie fühlt sich furchtbar betrogen. Fuchs und Wildschwein machen sich auf die Suche nach ihr …
Als ich las, um was es in dem Hörbuch geht, dachte ich, dass solch eine traurige Geschichte doch nichts für Kinder sein könnte. Andererseits sollte sie ein Erfolg im Kindertheater sein, das machte mich neugierig. Und ich wurde wirklich vollends überzeugt. Natürlich ist der Tod ein Thema, das auch Kinder bewegt. Ob die eigene Oma oder der Opa stirbt, ein Haustier, jemand aus der Nachbarschaft oder Verwandte von Freunden, über kurz oder lang wird jedes Kind damit konfrontiert und hat dann viele Fragen. Warum müssen wir überhaupt sterben?
Ich war überrascht, wie liebevoll die Geschichte erzählt wird. Die drei Freunde diskutieren sehr philosophisch, aber kindgerecht die Fragen des Seins. Was es definitiv nicht gibt, ist ein erhobener Zeigefinger. Immer wieder geschieht etwas Lustiges, sodass es nie zu lange traurig wird, auch wenn ich zugeben muss, mehr als einmal geschluckt zu haben. Dennoch bin ich begeistert, wie das schwierige Thema behandelt wird. Die Geschichte steckt voller Witz, schöner Formulierungen und beeindruckt mit vielen philosophischen Gedanken. Das Ende war für mich völlig unerwartet. Ja, es ist traurig. Aber es ist auch schön!
Der Sprecher sind ebenfalls sehr überzeugend: Das Wildschwein (Charly Hübner) muffelt vor sich hin und leidet, die schönsten Stellen sind die, wo er verzückt von der Niedlichkeit der Eintagsfliege schwärmt. Dem Fuchs (Martin Baltscheit) hört man an, dass ihm das ganze Spiel manchmal zu viel wird, außerdem braucht er gelegentlich ein wenig, um zu kapieren, was Sache ist. Ganz entzückend Annett Louisan als zunächst fröhliche, etwas überdrehte Eintagsfliege, die am Ende verzweifelt ist und der es doch gelingt, ihren beiden Freunden Hoffnung und eine neue Aufgabe zu geben.
Die kurzen Musikpassagen unterstreichen Handlung angenehm und unaufdringlich: mal schluchzen Geigen melancholisch, mal untermalen Bläser zusammen mit Sirenen dramatisch Ausflug auf den Hühnerhof oder Wildschwein und Fuchs singen: „Die kleinen Fliegen schlafen“.
Am Ende sind sich kleine und große Zuhörer einig, dass es besser ist, sein Leben so zu genießen wie die kleine Fliege, statt wie die zweite, rückwärts zählende Eintagsfliege nur darüber nachzudenken, wie kurz die geschenkte Zeit ist. Übrigens: Eintagsfliegen leben länger als einen Tag – nach dreijährigem Larvendasein ist es allerdings ihr letzter.
Für Kinder im Grundschulalter.
Martin Baltscheit: Nur ein Tag. oetinger audio 2014. 1 CD, 41 Minuten, Euro 12,99, ISBN 978-3-8373-0764-1.
Sprecher: Martin Baltscheit, Charly Hübner, Annett Louisan, Andre Gatzke; Musik: Sandra Weckert
Ich danke dem oetinger-Verlag für das Rezensionsexemplar.
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