Sammy Drechsel: Elf Freunde müsst ihr sein

Was tun, wenn alle Wilde-Kerle-Bücher ausgelesen sind und der fußballbegeisterte Nachwuchs nach weiterer Lektüre giert? Nun, dann kann man es einmal mit einem Klassiker versuchen, zum Beispiel mit „Elf Freunde müsst ihr sein“, geschrieben vom Sportreporter Sammy Drechsel.

Wie klassisch das Buch ist, wusste ich überhaupt nicht, als ich es für meinen Sohn kaufte. Es erschien erstmals 1955 und beschreibt das Leben einer fußballbegeisterten Schulklasse Anfang der 1930er Jahre in Berlin. Ich dachte mir schon, dass Drechsel in seine Geschichte Kindheitserinnerungen hat einfließen lassen, hatte aber ein Aha-Erlebnis beim Lesen des Wikipedia-Artikels über ihn, als ich herausfand, dass sein richtiger Name Karl-Heinz Kamke lautet …

Heini Kamke, Schüler der 2. Klasse der Volksschule Berlin-Wilmersdorf (entspricht der heutigen 7. Klasse), hat zwei linke Hände, aber dafür aber sehr fußballtalentierte Füße. Mit seinen Klassenkameraden verbringt er jede freie Minute beim Fußball. Ihr Ziel ist es, die großen Schüler der 1. Klasse zu besiegen. Ihren Sportlehrer finden sie eigentlich klasse, weil er sie nicht nur turnen, sondern auch Fußball spielen lässt. Aber ob er die Tricks, die er ihnen beibringt, nicht auch ihren Konkurrenten weitererzählt?

Nach dem Osterferien sind Heini und seine Freunde Erstklässler und damit mehr oder weniger automatisch in der Schulmannschaft. Aber der Sportlehrer will sie nur dann zur Schülermeisterschaft anmelden, wenn sie ihre Turnnoten verbessern. Der mitleidige Rechenlehrer vermittelt Turnstunden im Verein und so übt die ganze Mannschaft verbissen an Reck, Ringen und Seitpferd, bis sie im Unterricht beeindrucken können. Sie dürfen teilnehmen, haben aber bereits die ersten beiden Spiele verpasst, sodass sie nun eigentlich jedes Spiel gewinnen müssen, um eine Chance auf die Bezirks- und dann Stadtmeisterschaft zu haben. Aber das fußballerische Können ist fast das geringste Problem. Denn ihr Klassenlehrer, der Rektor, hasst Fußball und verteilt Nachsitzen ausgerechnet, als ein wichtiges Spiel ansteht.  Wo soll Heini neue Fußballschuhe herbekommen, als seine alten aus dem Leim gehen, seine Familie hat kein Geld dafür? Woher könnte die Mannschaft Geld für Trikots bekommen, damit sie nicht mit guten Hemden oder nacktem Oberkörper auflaufen muss? Und wieso muss die alleinerziehende Frau Mond ausgerechnet dann einen Job für ihren Sohn Klaus ergattern, als das entscheidende Spiel ansteht? Die erfindungsreichen Jungen lösen jedes Problem und schaffen es tatsächlich bis ins Endspiel der Stadtmeisterschaft.

Liebevoll schildert Drechsel die großen und kleinen Probleme der Jungen, die teilweise ganz anders als bei den Wilden Kerlen sind, manchmal aber erstaunlich ähnlich. Die jungen Leser merken schnell, dass das Buch in einer ganz anderen Zeit spielt: Die ältesten Schüler sind in der 1. Klasse und fangen danach eine Lehre an (als 14-jährige), unterrichtet werden Rechnen und Turnen statt Mathe und Sport, es gibt noch kein Abseits und es ist nicht erlaubt, einen Spieler auszuwechseln. Natürlich wird das Buch durch viele Beschreibungen von Fußballspielen geprägt. Nebenbei wird aber auch sehr viel über das Alltagsleben vermittelt. Das Wichtigste ist aber, dass die Jungen immer wieder äußere und innere Hindernisse überwinden müssen und merken, dass sie es nur gemeinsam schaffen können. Sie erkennen die Wahrheit des Spruches, der dem Viktoria-Pokal steht, den der deutsche Fußballmeister damals erhält: „Elf Freunde müsst ihr sein, wenn ihr Siege wollt erringen.“

Auch wenn mich die Fußballszenen weniger interessiert haben, fand ich das Buch auch als Erwachsene durchaus lesenswert. Die Kinder stolpern an der einen oder anderen Szene, wundern sich beispielsweiseüber die Reaktionen der Lehrer oder des Rektors, die ihnen unangemessen hart erscheinen oder den Versetzungstermin Ostern, was sie aber nicht wirklich stört. Vor allem finden sie Etliches zum Lachen und fiebern mit „dem Team“ mit.

Für Fußballfans zwischen etwa 9 und 12 Jahren auf jeden Fall ein lohnendes Buch.

Sammy Drechsel: Elf Freunde müsst ihr sein. Thienemann 2008 (1: 1955), 319 Seiten, Euro 12,90, ISBN 978-3-522-18062-7