Alexander Hogh, Jörg Maillet: Tagebuch 14/18

Vier junge Leute, vier Schicksale

Es gibt viele Dokumentationen, die die Grausamkeit von Kriegen zeigen sollen. Doch dabei wird das Hauptaugenmerk meist auf das Geschehen an der Front gelegt. Wie es sich wirklich für den Einzelnen anfühlte, im Krieg zu sein, ist schwierig zu vermitteln.

Dieses Buch hat die Aufzeichnungen von vier jungen Menschen, zwei Deutschen und zwei Franzosen, zur Grundlage von Comics gemacht. Zwei von ihnen waren am unmittelbaren Krieggeschehen beteiligt: Der Schüler Walter aus Deutschland hat sich freiwillig gemeldet und kämpfte in Frankreich, bis er schwer verletzt wurde. Später ging er wieder zur Schule, aber es fiel ihm schwer, nach seinen schlimmen Erfahrungen dort wieder zurechtzukommen. Lucien war Medizinstudent, als der Krieg begann. Er wurde im Sanitätsdienst eingesetzt und wollte unbedingt einen Orden bekommen. Beiden ist gemeinsam, dass sie voller Begeisterung in den Krieg zogen. Sie hatten gelernt, die andere Nation zu hassen und waren glücklich, ihr nun eine Lektion erteilen zu können. Auch dachten beide, dass der Krieg schnell vorbei sein würde. Stattdessen erlebten sie Angst, Elend, Schmerzen, sahen viele Menschen sterben. Schnell merkten sie, dass der Krieg nicht so glamourös und heldenhaft ist, wie sie es sich vorgestellt hatten.

Die anderen beiden haben den Krieg als Zivilisten erlebt. René war gerade einmal sechs Jahre, als der Krieg begann. Er lebte mit seiner Familie nördlich von Paris und erlebte Truppenbewegungen und Flucht hautnah mit. Die vierzehnjährige Nessi dagegen lebte im Erzgebirge, weitab von jeder Front. Doch auch an ihr ging der Krieg nicht vorbei. Auch diese beiden eint eine gewisse Kriegsbegeisterung. Nessi war anfangs skeptisch, ließ sich aber von den anderen anstecken. Und dann gab es auch noch siegfrei in der Schule! Sie erlebte Hunger, ihr Bruder wurde eingezogen, ein Vetter fiel. René fand am Anfang alles noch spannend. Aber dann starb seine Mutter, er ging mit seiner Schwester fort und musste seinen Vater zurücklassen. Er bekam mit, wie viele Soldaten verletzt von der Front zurückkamen sah, wie die Überlebenden verrohten.
Drei der vier haben Tagebuch geschrieben, René hat seine Erinnerungen zehn Jahre nach dem Krieg notiert.

Authentische Berichte in Comicform

Ihre Erlebnisse, aus der Sicht von Kindern oder jungen Menschen geschrieben, ermöglichen es sehr gut, Zugang zu ihrer Lebenswelt zu bekommen. Manche Äußerungen befremden: Ihre Begeisterung für den Krieg, ihr Hass gegenüber der jeweils anderen Nation, Reden von Lehrern oder Politikern, die die jungen Leute zu Patriotismus auffordern. Oft schildern sie vermeintliche Nebensächlichkeiten, kleine Erlebnisse am Rande. Gerade das macht ihre Berichte so authentisch.  Auch die Comicform trägt dazu bei, die Ereignisse auch für die Leser zugänglich zu machen, die keine Lust haben, sich durch dicke Wälzer zu quälen. Das alles finde ich sehr gelungen. Allerdings kann es nichts schaden, wenn die Leser schon ein paar Vorkenntnisse haben. Zwar gibt es am Ende des Buches ein Glossar, aber das habe ich erst am Schluss entdeckt. Begriffe wie „Boche“ werden dort erklärt, aber auch, was es mit dem Fort Douaumont auf sich hatte oder mit dem Friedensangebot von 1916.

Jeweils auf einer Doppelseite werden die vier Protagonisten am Ende vorgestellt und erklärt, was aus ihnen geworden ist. Man sieht Fotos von ihnen während der Kriegszeit und als alte Leute, aber auch Bilder, die das von ihnen Geschilderte illustrieren. Ich fand es sehr schön zu erfahren, welchen weiteren Lebensweg sie eingeschlagen haben.

Karten in der vorderen und hinteren Einbandseite zeigen Europa 1914 und 1924, ein Vorwort und eine Einleitung geben weiterführende Informationen.

Ich finde dieses Buch eine sehr gelungene Art, den Ersten Weltkrieg in all seinen Facetten zu zeigen, von der anfänglichen Kriegsbegeisterung, dem Schrecken im Schützengraben, dem Hunger und den Entbehrungen der Zivilisten, dem Elend der Kriegsgefangenen, dem Tod von Freunden oder Verwanten bis hin zu eigener Verletzung oder Flucht der Protagonisten. Durch die Comicform werden auch Nicht- und Wenigleser angesprochen, aber auch Viellesern eröffnet sich so im wahrsten Sinne ein anderer Blick auf die Ereignisse. Die Einarbeitung der authentischen Texte finde ich sehr gelungen. Gut gefällt mir auch, dass die Protagonisten sich abwechseln. Also liest man erst viermal über Kriegsbeginn und -begeisterung aus verschiedenen Perspektiven, bevor, mit dem Voranschreiten der Zeit, die schlimmen Ereignisse sich häufen.
Einzig die graue Schrift in den Nicht-Comic-Teilen finde ich negativ, da sie durch den geringen Kontrast sehr anstrengend zu lesen war, vor allem bei künstlichem Licht.

Fazit: Eine sehr gelungene Darstellung des Ersten Weltkrieges für Kinder ab 12 Jahren, aber durchaus auch für Erwachsene lesens- und anschauenswert.

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Alexander Hogh, Jörg Maillet: Tagebuch 14/18. Vier Geschichten aus Deutschland und Frankreich. Unter Mitwirkung und mit einem Vorwort von Gerd Krumeich und Nicolas Beaupré. Tintentrinker 2014. 120 Seiten, Euro 20,00, ISBN 978-3-98163-231-6.

Zur Verlagsseite – bei Amazon – über Buchhandel.de – oder in jeder Buchhandlung.

Ich danke dem Verlag für das Rezensionsexemplar.