Erich Kästner: Pünktchen und Anton

Pünktchen, eigentlich Luise, Tochter aus guten Hause, befreundet sich mit Anton. Der Junge muss hart arbeiten, weil seine Mutter nach einer Operation noch immer krank zu Hause im Bett liegt. Anton kocht, erledigt die Einkäufe, macht seine Schularbeiten und abends steht er an der Straße und verkauft Schnürsenkel, um etwas Geld dazuzuverdienen. Kein Wunder, wenn er im Unterricht manchmal einschläft. Pünktchen könnte es eigentlich prima gehen, aber leider haben ihre Eltern wenig Zeit für sie. Ihr Vater, Direktor Pogge, muss viel arbeiten. Abends wäre er gerne einmal in Ruhe daheim, aber er muss mit seiner Frau in die Oper, zu Konzerten oder Einladungen. Auch tagsüber ist Pünktchens Mutter immer unterwegs oder sie liegt mit Migräne im Bett und möchte ihre Ruhe haben. Um Pünktchen soll sich währenddessen ihr Kindermädchen Fräulein Andacht kümmern. Diese geht aber lieber mit ihrem Freund tanzen. Weil ihr Freund ständig Geld von ihr haben möchte, schleicht sie sich mit Pünktchen nachts aus dem Haus – zum Betteln. Außerdem möchte er auch noch einen Plan des Hauses von ihr haben, um dort einzubrechen. Aber mit Pünktchen und Anton muss gerechnet werden.

Pünktchen ist eine patente Berliner Göre, die voller Fantasie und Ideen steckt. Sie mag Anton und ist sich nicht zu fein, bei ihm zu Hause vorbeizuschauen und freundlich zu seiner Mutter zu sein. Als er ihre Hilfe braucht, lässt sie sich etwas einfallen. Sie spricht sogar mit seinem Lehrer. Anton ist fleißig und will seiner Mutter um jeden Preis helfen. Die beiden Kinder sind sehr sympathisch. Zwar machen sie nicht immer alles richtig, so hätte Pünktchen ihren Eltern mal lieber berichtet, was das Kindermädchen mit ihr anstellt, aber sie haben das Herz auf dem rechten Fleck. Auch der Direktor ist im Großen und Ganzen ein sympathischer Mensch, vor allem sein Verhalten am Schluss nimmt den Zuhörer für ihn ein. Dafür darf man Pünktchens oberflächliche Mutter von ganzem Herzen verabscheuen (obwohl ich die Bemerkung, Migräne seien „Kopfschmerzen, wenn man keine hat“ und, an anderer Stelle, „ein Zeitvertreib“, eher daneben fand). Antons Mutter ist zwar ganz nett, ihre Reaktion auf ein Versäumnis ihres Sohnes aber  – vor allem angesichts seines Verhaltens in der letzten Zeit – vollkommen überzogen. Im Buch geht es unter anderem um Gerechtigkeit. Ich bin mir sicher, die heutigen Hörer werden das ungerecht finden. Am Ende geht alles gut aus, die Bösen werden bestraft, die Guten belohnt, wobei das Verschwinden des Kindermädchens einem auch zu schaffen machen kann.

Zwischen den Kapiteln sind sogenannte „Nachdenkereien“ Kästners eingeschoben, in denen er Überlegungen zu einem Aspekt des vorherigen Kapitels anstellt, zum Beispiel zu den Themen Freundschaft, Mut, Lüge, Pflicht, Neugierde, Selbstbeherrschung. Natürlich merkt man der ganzen Geschichte ihr Alter an (das Buch erschien 1932), aber in einigen dieser Passagen fällt das besonders auf. Viele seiner Weisheiten haben noch heute uneingeschränkte Gültigkeit, andere fand ich doch eher überholt oder einfach nicht mehr zeitgemäß.

Die mal lustige, mal spannende Geschichte ist ganz sicher auch für heutige Kinder interessant, sie hat nichts von ihrem Reiz verloren. Sie ist auch ein wenig lehrreich. (Zum Beispiel: Es gab früher weder Krankenversicherung noch sonst eine Unterstützung, wem es schlecht ging, der musste eben betteln.) Es wäre sicher nicht schlecht, das Hörbuch zusammen mit dem Kind zu hören oder zumindest für Fragen zur Verfügung zu stehen, denn es ist sehr wahrscheinlich, dass Fragen kommen werden. Kästner übte ja durchaus Kritik an den Verhältnissen seiner Zeit, das werden sie allein möglicherweise nicht erkennen.

Es handelt sich um eine vollständige Lesung, nur sehr wenige Stellen wurden verändert, diese werden im Booklet alle aufgeführt. So hat Kästner des Öfteren den Leser angesprochen, was in Hörer geändert wurde, oder von dem Buch gesprochen, woraus Geschichte wurde. Bastian Pastewka gelingt es, den Hörer mitzureißen. Jeder Charakter bekommt seinen unverwechselbaren Charakter, er liest abwechslungsreich und einfach schön.

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Erich Kästner: Pünktchen und Anton. Gelesen von Bastian Pastewka. Oetinger Audio 2015. 3 CDs, 173 Minuten, Euro 19,99, ISBN 978-3-8373-0839-6.

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Ich danke dem Verlag für das Rezensionsexemplar.

 

Ein Kommentar zu “Erich Kästner: Pünktchen und Anton

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