Robert Muchamore: Top Secret 1 – Der Agent

James Choke (11) erlebt den miesesten Tag seines Lebens. Erst bekommt er einen Schulverweis, weil er sich von einer anderen Schülerin so hat provozieren lassen, dass er sie verprügelt und dabei versehentlich ernsthaft verletzt. Dann ist der Vater seiner kleinen Schwester zu Besuch – seinen eigenen kennt er nicht – und säuft mit seiner Mutter, die gar keinen Alkohol trinken dürfte, weil sie Medikamente nimmt. Und am Ende findet er seine Mutter tot auf und landet gemeinsam mit Schwester Lauren in einem Kinderheim. Er kommt in eine neue Schule, freundet sich mit den „harten Jungs“ im Heim an und kommt prompt mit dem Gesetz in Konflikt. Er scheint am Beginn einer Karriere als Krimineller zu stehen.

Da wacht er eines Morgens in einem wesentlich schickeren Zimmer auf als im Kinderheim. Er weiß nicht, wie er dorthin gekommen ist. Er ist bei Cherub, einer Unterabteilung des MI5, bei der Kinder als Spione ausgebildet und eingesetzt werden. Da James Waise ist und eine mathematische Hochbegabung hat, bietet Mac, der Leiter von Cherub, ihm an, bei Cherub zu leben, die Schule zu besuchen und die Ausbildung zu absolvieren. James bekommt Bedenkzeit, die er eigentlich nicht bräuchte: Natürlich möchte er.

Also zieht er in das nobel ausgestattete Internat ein und merkt schnell, dass dort ziemlich viel von ihm erwartet wird. Die Kinderspione müssen topfit sein.  Endlich beginnt seine dreimonatige Ausbildung, bei der die Kinder von morgens bis abends geschliffen werden. Wird James durchhalten und irgendwann seinen ersten richtigen Einsatz haben?

Eine Akademie für Kinderspione, das ist eine originelle Idee. Zunächst ist der Leser etwas bedrückt, James und seine kleine Schwester tun ihm leid. Zwar sind die Kinder materiell gut versorgt, aber die familiären Verhältnisse sind chaotisch. Als an diesem Tag alles schief geht und sogar die Mutter stirbt, klingt es nicht, als könnte eine spannende Geschichte daraus werden. Auch das Dasein im Kinderheim ist trostlos und James droht abzurutschen. Ich könnte mir vorstellen, dass Kinder hier erst einmal einen Hänger haben. Meinem Sohn ist das Buch von einem Freund empfohlen worden, er meinte, es wäre doch recht schnell spannend geworden.

Als James bei Cherub ankommt, nimmt die Handlung an Fahrt auf. Ich muss sagen, dass ich vieles als recht grausam empfunden habe. Vor allem während der dreimonatigen Ausbildung, während der die Kinder das Camp nicht verlassen, nicht mit ihren Freunden sprechen dürfen, herrscht militärischer Drill: kalt duschen, sehr viele sportliche Einheiten, dazwischen Unterricht in Fremdsprachen, Chiffrierung, Sprengsatzbau, wenig zu Essen, sehr harte Strafen bei Verfehlungen usw. Teilweise handelt es sich um Foltermethoden, die mich schaudern ließen. Der Trainer ist ein Sadist, der es darauf anlegt, dass die Kinder aufgeben. Dann müssen sie später noch einmal wieder ganz von vorne anfangen, selbst wenn sie sich am vorletzten Tag ein Bein brechen. Mir tat es manchmal richtig weh, das zu lesen, mein Sohn fand es cool. (Wenn er in der Situation wäre, würde er sich sicherlich ganz anders anhören!) Er meinte, ihm habe besonders gut gefallen, dass die Ausbildung so detailliert beschrieben wurde. Vermutlich können sich die jungen Leser nicht vorstellen, was es heißt, nicht schlafen zu dürfen oder bis zur absoluten Erschöpfung in nasser Kleidung sportliche Höchstleistungen zu vollbringen.

Die Kinder werden vom MI5 für Einsätze ausgewählt, die nicht wirklich gefährlich für sie sein sollen, wo Erwachsene aber auffallen würden. Von Kindern dagegen erwartet niemand, dass eine Gefahr von ihnen ausgeht.  Als James für seinen ersten Einsatz ausgewählt wird, ist er zunächst einfach nur stolz. Im Laufe der Zeit merkt er aber, dass es gar nicht so leicht ist zu entscheiden, wer zu den Guten und wer zu den Bösen gehört. Das war ein weiterer Punkt, den mein Sohn klasse fand, er nennt es den philosophischen Aspekt: dass James‘  Weltbild im Verlauf des Buches mehrfach über den Haufen geworfen wird und er lernen muss, dass vieles nicht so ist, wie es auf den ersten Blick scheint.

Zugegeben, spannend fand ich das Buch auch. Die Charaktere der Kinder sind gut herausgearbeitet, die trostlose Anfangsgeschichte wirkt halbwegs realistisch (vielleicht abgesehen von der Einnahmequelle von James‘ Mutter). Es gibt auch lustige Szenen, der junge Held ist außerdem zum ersten Mal verliebt. Stilistisch ist es nicht besonders anspruchsvoll, aber auch nicht platt, so lässt es sich auch von Kindern flott lesen, die keine Vielleser sind.

Für Kinder zwischen 12 und 15, die Action und eine spannende Geschichte lieben und denen es nichts ausmacht, wenn es auch einmal traurig wird, ist das sicherlich ein tolles Buch. Und allen Eltern, die lesehungrige Kinder haben und nicht wissen, woher sie Nachschub nehmen sollen, sei gesagt, dass das der erste Band einer bisher zwölfteiligen Serie ist …

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Robert Muchamore: Top Secret 1 – Der Agent. Aus dem Englischen von Tanja Ohlsen. cbt 2005. 384 Seiten, Euro 8,99, ISBN 978-3570301845 bei amazon

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