Worte haben Macht
Elyse hat eine seltene und seltsame Krankheit: Auf ihren Armen und Beinen erscheinen die Wörter, mit denen sie bezeichnet wird, Gesagtes geht bei ihr nicht unter die Haut, wie es in der Redewendung heißt, sondern auf die Haut. Positive Bezeichnungen wie toll oder schön fühlen sich angenehm an, negative jucken ganz fürchterlich. An der Grundschule wussten alle Kinder darüber Bescheid, aber auf der neuen Schule sind viele unbekannte Schüler, darunter auch einige, die fies zu Elyse sind. Und dann tritt sogar ein ganz neues Phänomen auf: Wenn Elyse schlecht über sich selber denkt, Dinge wie Versager oder mitleiderregend, tauchen auch diese Worte auf. Elyse braucht unbedingt eine neue Freundin, die ihr beisteht. Da tauchen auf einmal geheimnisvolle Briefe auf, die sie ermutigen, Dinge zu tun, durch die sie im Mittelpunkt steht. Natürlich will sie unbedingt herausfinden, wer der geheimnisvolle Absender ist. Das ist alles ganz schön aufregend!
„Was hast du denn mit dem Freak gemacht, Felix?“ Ein Mädchen näherte sich dem Jungen,
FREAK bildete sich direkt vor meinen Augen auf meiner Kniescheibe.
„Heilige Spaghettisoße!“, brüllte Felix. „Was ist denn mit dir? Bist du eine Hexe oder so?
„Hexe!“, wiederholte das Mädchen und lachte.
HEXE juckte. So, so sehr. Es war geradezu verhext, wie sehr dieses Wort juckte.
Sichtbares Mobbing
Normalerweise spürt man die Verletzungen, die man durch Beschimpfungen und Hänseleien davonträgt, nur in der Seele. Und genauso ist es mit den guten, wohltuenden Worten. Doch Elyse ist doppelt gestraft, denn sie wird auch körperlich verletzt und muss die beschämenden Wörter auch noch für alle sichtbar vor sich hertragen, bis sie sich entschließt, nur noch langärmelige Pullis und lange Hosen zu tragen. Auch ihre Mutter bekommt immer genau mit, wenn wieder etwas vorgefallen ist, und fährt ständig mit ihr zu einem Spezialisten, der aber auch nichts anderes tun kann, als ihr immer neue Salben zu verschreiben. Ihr Vater spricht kaum mit ihr, aus Angst, etwas Falsches zu sagen und ihre beste Freundin, die ihr in der Grundschule immer beigestanden hat, schließt sich ausgerechnet den Mädchen an, die Elyse am meisten hänseln. Kein Wunder, dass Elyse ihre Pausen gerne auf der Toilette verbringt. Sie muss den Lesern einfach leid tun. Doch dann tauchen die geheimnisvollen Briefe auf, die sie auffordern, verschiedene Dinge zu tun. Durch sie schöpft Elyse Mut, tut, was sie sonst nie gewagt hätte, und macht die Erfahrung, dass sie damit meist erfolgreich ist. Das stärkt ihr Selbstbewusstsein enorm und ändert letztlich auch ihren Umgang mit ihrer Krankheit.
Geheimnisvolle Briefe
Ich finde es eine tolle Idee, Hänseleien und Mobbing (aber auch Lob) auf diese Weise an einer Protagonistin sichtbar zu machen. Denn was man sonst vielleicht mit einem „Das ist ja nicht so schlimm“ abtun würde, bereitet Elyse körperliche Schmerzen. Wie sie es trotz aller Widrigkeiten schafft, sich ihren Platz in der Klasse und der Schule zu beobachten, ist interessant zu lesen. Die Suche nach dem Absender der Briefe bringt eine Portion Spannung hinein. Weitere Themen sind die Suche nach einer Freundin und der Wunsch, einen Freund zu haben, also alles Themen, die die Leser selber beschäftigen dürften. Elyses Weg ist nicht gradlinig, sie macht auch Fehler, was ihre Geschichte wesentlich glaubwürdiger macht.
Fazit: „Wunderworte“ hat mich sehr berührt. Elyse ist eine tolle Protagonistin, die sich ihren Platz erst erkämpfen muss. Freundschaft, erste Liebe, Mobbing, Selbstbewusstsein entwickeln, Selbstfindung sind Themen, die Leser von 10 bis 12 Jahren beschäftigen und die hier auf eine Weise angesprochen werden, die nachdenklich macht, aber auch stärken kann. Eine unbedingte Leseempfehlung für dieses wundervolle Buch!
Abby Cooper: Wunderworte. Aus dem amerikanischen Englisch von André Mumot. Oetinger 2017. 304 Seiten, Euro 16,99, ISBN 978-3-7915-0039-3.
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Ich danke dem Verlag für das Rezensionsexemplar.