Martin Schäuble: Endland

Martin Schäuble: Endland

Was wäre wenn?

Drei junge Menschen, wie sie unterschiedlicher nicht sein könnten:
Fana, die Äthiopierin, die in sehr gut Deutsch spricht, in einem Krankenhaus arbeitet und gerne Medizin studieren würde. Doch ihr Vater verliert seine Arbeit und durch eine Dürre wird die Not im Land immer größer. Unterstützt von einer deutschen Ärztin macht sie sich auf den Weg nach Deutschland.
Anton, der Deutsche, der gerade seinen Wehrdienst ableistet und an der polnischen Grenze darauf aufpasst, dass keine Flüchtlinge ins Land kommen. Das findet er gut und richtig. Er soll einen wichtige Auftrag übernehmen.
Sein Freund Noah, der zwar mit ihm den Wehrdienst ableistet, aber politisch ganz anderer Meinung ist und in den Widerstand geht.

Deutschland ist jedoch nicht das Deutschland, das wir kennen. Nach dem Sieg der Nationalen Alternative hat sich viel verändert. Die meisten Flüchtlingslager wurden geschlossen, kaum jemand wird mehr als Flüchtling anerkannt. Doch auch in anderen Bereichen ist das Leben anders geworden. Anton findet das gut, das meiste jedenfalls. Und über den Rest will er nicht nachdenken. Doch dann bekommt er einen ganz besonderen Auftrag und muss undercover in ein Flüchtlingsheim, in dem er einen Anschlag durchführen soll. Dazu muss er sich schon in Polen unter die Flüchtlinge mischen. Dort lernt er auch Fana kennen. Was er auf der Flucht und im Flüchtlingsheim erlebt, lässt ihn vieles in einem ganz anderen Licht sehen. Doch seinen Auftrag muss er trotzdem ausführen. Oder?

Ein verändertes Deutschland

In diesem Hörbuch lernen wir drei ganz normale Jugendliche kennen, mit denen sich jeder mehr oder weniger identifizieren kann. Klar, Anton lässt sich zunächst von den Parolen der Nationalen Alternative überzeugen, das klingt alles vernünftig für ihn und seine Mutter hat auch endlich wieder einen Job. Die Argumente von Skeptiker Noah tut er erst einmal ab. Trotzdem verstehen sich die beiden, schließlich kennen sie sich schon seit Kindertagen. Fana ist sehr sympathisch. Ziemlich genau wird ihr Leben in Addis Abeba geschildert, ihre Familienverhältnisse, ihre Wünsche und Träume, was dazwischenkommt, ihre Arbeit im Krankenhaus und das Schicksal ihrer besten Freundin, die auch einen anderen Weg gehen muss, als sie sich gewünscht hat. Wie genau Fanas Flucht verläuft, erfahren wir nur Bruchstückhaft im Rückblick. Erst als sie in Polen auf Anton trifft, sehen wir sie wieder und begleiten die beiden von da an.

Beklemmende Realitätsnähe

Was da geschildert wird, ist ziemlich beklemmend. Es ist offensichtlich, dass sich die Handlung an tatsächlichen Ereignissen orientiert. Auch die Parolen der Nationalen Alternative, die Sprüche über Flüchtlinge, die Vorurteile über sie, hat jeder in den letzten beiden Jahren immer wieder gehört. Es gelingt der Geschichte also hervorragend, Stimmungen aufzugreifen und wiederzugeben. Es ist dann kein weiter Schritt sich vorzustellen, wie es wäre, wenn tatsächlich eine Partei wie die Neue Alternative die Wahl gewinnen würde. Deutschland ist aus der EU ausgetreten, die Grenzen wurden geschlossen, die Wehrpflicht wiedereingeführt, Sozialhilfe gekürzt oder abgeschafft, Windräder abgebaut. Es gilt das klassische Familienbild, andere Lebensentwürfe werden abgelehnt. Schließlich werden nach und nach fast alle Flüchtlingsheime geschlossen, fast alle Antragsteller bekommen eine Ablehnung, weil sie über ein sicheres Drittland gekommen sind. Am Ende dürfen nicht einmal mehr Helfer (Gutmenschen usw., wir kennen die Bezeichnungen) in die Unterkünfte. Wer eine andere Meinung hat, bekommt Probleme.  Manche Menschen verlassen Deutschland, weil sie dort nicht mehr leben wollen und können. Diese Schilderungen sind erschreckend realistisch.

Es ist Fiktion. Doch sie ist erschreckend nah an der Realität oder dem, was Realität werden könnte! Manches ist tatsächlich seit der Fertigstellung des Buchs/Hörbuchs schon so ähnlich eingetreten.

Ich finde dieses Hörbuch aus mehreren Gründen hervorragend:

Es zeigt die Gedanken und Beweggründe eines Flüchtlings. Ich denke, es wurde ganz bewusst eine Afrikanerin ausgewählt und kein Kriegsflüchtling, also jemand, der als Wirtschaftsflüchtling eingestuft wird. Das kann man unterschiedlich bewerten, aber ich denke, es wird absolut nachvollziehbar, warum Fana handelt, wie sie handelt.

Es zeigt die Schrecken der Flucht und macht deutlich, dass sie voller Gefahren ist. Selbst Anton wird schnell klar, dass das niemand ohne Grund auf sich nimmt.

Es zeigt, was passieren könnte, wenn eine rechtsnationale Partei in Deutschland ans Ruder käme. Die Maßnahmen, die die Nationale Alternative ergreift, wurden alle schon in Reden oder Parteiprogrammen erwähnt, es handelt sich nicht um Erfindungen des Autors. Natürlich ist das, was am Ende passiert, reine Fiktion. Aber dass etwas Vergleichbares passieren könnte, halte zumindest ich nicht für abwegig. Schließlich gab es tatsächlich den Fall, dass sich ein Soldat in eine Flüchtlingsunterkunft eingeschmuggelt hat.

Es zeigt, wie sich ein junger Mensch von den Parolen einer solchen Partei beeinflussen lässt. Weil er gewisse positive Veränderungen sieht und glauben will, dass das stimmt, was man ihm erzählt.

Es zeigt, wie die Menschen, die andere Meinung haben, entweder verstummen oder das Land verlassen.

Glaubhafte Darstellung

Das Hörbuch wird von Florian Lukas, Jodie Ahlborn, Julian Greis und Hans Löw sehr gut und glaubwürdig gelesen. Ein Kapitel ist jeweils einer Person gewidmet, die ihre Erlebnisse und ihre Sicht der Dinge schildert. Erst nach und nach wird klar, was sie miteinander zu tun haben und wie alles zusammenhängt. Der Anfang ist gleich ein Paukenschlag, aber dann habe ich ihn erst einmal fast vergessen, bis die Handlung so weit voranschritt, dass ich verstand, was er mit der Geschichte zu tun hat.

Die Protagonisten sind ziemlich prototypisch, was ich aber nicht als negativ empfunden habe. Fana ist ein Musterflüchtling: eine junge Frau, die perfekt Deutsch spricht, Erfahrungen in der Krankenpflege hat und Medizin studieren möchte. Nun gut, DAS ist vielleicht doch nicht so realistisch und dürfte eher selten vorkommen. Anton ist der Typ Mitläufer, der sich von den Parolen beeindrucken lässt und den sein Dienst an der Grenze sogar stolz macht, schließlich tut er etwas für sein Land. Noahs Familie ist kritisch eingestellt, sodass er schließlich in den Widerstand geht.

Der Autor ist Journalist und Politikwissenschaftler und man merkt, dass er weiß, wovon er spricht und gut recherchiert hat.

Fazit: Ein beeindruckendes Hörbuch, das sehr gut deutlich macht, wie sich Deutschland unter einer rechten Partei verändern könnte und was dies für die Menschen bedeuten würde. Ein Hörbuch, das die Beweggründe von Flüchtlingen erklärt. Ein Hörbuch, das überhaupt nicht belehrend ist, sondern sehr spannend, teilweise atemberaubend. Es ist einfach toll gemacht! Für Jugendliche ab 14 Jahren. Gerne vor der Bundestagswahl zu hören.

Martin Schäuble: Endland. Oetinger audio 2017. 1 MP3-CD, 363 Minuten, Euro 11,99, ISBN 978-3-8373-1034-4.

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Ich danke dem Verlag für das Rezensionsexemplar.