Elisabeth Rapp: Wenn er mich findet, bin ich tot

Tilly, 14, hat eine harte Kindheit hinter sich. An die Zeit vor ihrem sechsten Geburtstag kann sie sich nicht erinnern. Sie wuchs in einer chaotischen Familie auf, in der wenig Rücksicht auf die Gefühle der Kinder genommen wurde, Misshandlungen waren an der Tagesordnung, Heimaufenthalte folgten. Nun ist sie selbst auf die schiefe Bahn geraten und soll zusammen mit einer Gruppe anderer Jugendlicher mit kriminellem Hintergrund noch eine Chance bekommen: Sie fliegen nach Finnland an den Polarkreis, wo sie eine Jugendherberge aus Eis bauen sollen. Auf sie warten also Kälte, Dunkelheit und harte Arbeit, weitab vom Schuss und nur zusammen mit ihren Betreuern und den anderen Jugendlichen.

Tilly fühlt sich schon seit Jahren verfolgt. Panikattacken bestimmen ihr Leben, manchmal fällt sie gar in Ohnmacht, weshalb die anderen Jugendlichen sie für total gestört halten. Frei ist sie nur, wenn sie laufen kann. Nach anfänglichen Debatten werden ihr die Läufe genehmigt, später bringt ihr der finnische Betreuer Riski Langlauf bei – und sie läuft sensationell. Eines der Mädchen, Sandra, bewundert Tilly, färbt sich die Haare wie sie und beginnt ebenfalls mit dem Langlauf. Und dann wird Sandra eines Tages erschossen auf der Loipe entdeckt. Galt der Schuss Tilly? Tilly lässt sich nicht von dieser Vermutung abbringen und stellt selbst Untersuchungen an, zunächst in Finnland, später in Deutschland.

Einer der Sozialpädagogen, Michael Beck, nimmt Tilly und zwei der Jungen bei sich zu Hause auf. Zusammen versuchen die Teenager, hinter Tillys Geheimnis zu kommen. Dazu müssen sie sehr weit zurück in Tillys Kindheit forschen. Immer wieder geraten die Jugendliche in gefährliche Situationen, aber die Kenntnisse ihrer früheren kriminellen Laufbahn kommen ihnen dabei sehr gelegen.

Der Jugendthriller hat mich sehr schnell in seinen Bann gezogen, wozu das ungewöhnliche Setting sicher beitrug. Tilly ist ein komplizierter Charakter, dessen viele Facetten erst nach und nach offenbart werden. Trotz ihrer spröden Art habe ich sie schnell ins Herz geschlossen und mit ihr gebangt. Die anderen Charaktere sind teilweise weniger stark herausgearbeitet. Was ich nicht ganz glaubwürdig fand, war, dass diese Gruppe von „Problemkindern“ letztlich doch relativ zahm ist. Zwar schlagen sie das eine oder andere Mal über die Stränge und streiten sich auch, aber letztlich arbeiten sie fleißig und gehorchen den Anordnungen der Betreuer, die sie ziemlich gut im Griff haben. Ob das realistisch ist? Auch die Betreuer fand ich teilweise viel zu gutmütig. Was seine drei Mitbewohner Beck alles erzählen können, ohne dass er merkt, dass er hinters Licht geführt wird … So viel Vertrauen zu Jugendlichen mit solch kaputten Lebensläufen?

Als die Jugendlichen auf eigene Faust Nachforschungen anstellen, brechen sie wiederholt die Gesetze, sozusagen im Dienst der guten Sache. Immer kommen sie unentdeckt davon, haben teilweise unverschämtes Glück. Dafür ist ihr Wissen teilweise verblüffend. Man bedenke: Es sind Jugendliche ohne Schulabschluss, für die der Schulbesuch und das Lernen nicht gerade zu den wichtigen Dingen im Leben gehörte. Auch das fand ich nicht immer glaubwürdig.

Trotzdem hat mich so etwas meist nur kurz gestört. Die Geschichte hat überwiegend ein hohes Tempo, ständig passiert etwas Spannendes, oft überschlagen sich die Ereignisse geradezu. Und, sehr wichtig, ich habe sehr lange mit meinen Vermutungen zu Tillys Vergangenheit falsch gelegen, es war wirklich spannend bis zum Schluss.

Wenn er mich findet, bin ich tot war für den besten Kinderkrimi 2014, den Hansjörg-Martin-Preis nominiert – vollkommen zu recht, wie ich finde! Für hartgesottene Jugendliche ab 14, eher sensible Leser sollten vielleicht ein oder zwei Jahre länger warten.

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Elisabeth Rapp: Wenn er mich findet, bin ich tot. dtv 2013. Euro 13,95, 380 Seiten, ISBN 978-3-423-74001-2.

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