Leben wie auf der Flucht
Ihr ganzes Leben lang war Alice ständig unterwegs. Ihre Mutter schlüpfte mit ihr mal hier bei Bekannten unter, mal fand sie einen Job, bei dem ihre kleine Tochter bei ihr bleiben konnte. Meist dauerte es maximal ein halbes Jahr, bis sie ihre Zelte abbrachen und weiterzogen. Ständig wechselte Alice die Schule, nie blieb Zeit, um Freunde zu finden. Der Grund für ihre meist überhasteten Aufbrüche: etwas Unangenehmes passierte. Warum, weiß Alice nicht. Sie denkt lange, sie sind einfach vom Pech verfolgt.
Alice ist außerdem die Enkelin einer berühmten Autorin, der Märchenerzählerin Althea Proserpine. Deren berühmte Geschichten kennt sie jedoch nicht, da sie das Buch einfach nicht finden kann. Gesehen hat sie ihre Großmutter auch nie. Sie weiß nicht, warum ihre Mutter sie von ihr fernhält. Doch dann kommt die Nachricht vom Tod ihrer Großmutter. Nun ist es ohnehin zu spät, um sie kennenzulernen.
Gerade hat Alice sich in New York recht gut eingelebt, da passiert wieder etwas: Ihre Mutter verschwindet spurlos. Zusammen mit einem Klassenkameraden, dem reichen Ellery Finch, macht sie sich auf die Suche. Ihr Weg scheint sie nach Hazel Wood zu führen, dem Anwesen, auf dem Alices Großmutter in Abgeschiedenheit von der Welt lebte. Was werden sie dort finden?
Zwei Außenseiter, Alice und Finch, tun sich zusammen. Alice will ihre Mutter finden, Ellery vergisst das manchmal. Ihm scheint es vor allem darum zu gehen, ein Abenteuer zu erleben. Doch mit der Zeit baut sich ein immer stärkeres Gefühl der Bedrohung auf.
Zwei Jugendliche in einem geheimnisvollen Wald
Alice ist einerseits eine starke, selbstständige Persönlichkeit, andererseits sehr unsicher. Durch die vielen Umzüge hat sie gelernt, dass sie nur sich selbst und ihrer Mutter vertrauen kann, alle anderen sind viel zu schnell wieder verschwunden. Finch steht sie daher etwas skeptisch gegenüber. Was will er von ihr? Ist er womöglich in sie verliebt? Aber auf jeden Fall hat er im Gegensatz zu ihr Geld und bleibt an ihrer Seite. Alice weiß genau, was sie will: ihre Mutter wiederfinden. Dafür schreckt sie vor keiner Gefahr zurück – und ihre Suche birgt zahlreiche Gefahren.
Ellery Finch macht zunächst den Eindruck eines verwöhnten Jungen aus reichem Haus, der aufgrund seiner familiären Situation sehr unglücklich ist und aus seiner Situation ausbrechen will. Mag er Alice nur wegen der berühmten Großmutter? Fans sind Alice zutiefst zuwider. Oder mag er sie um ihrer selbst willen? Es stellt sich heraus, dass er noch ganz andere Seiten hat.
Zuerst lernen wir Alice durch die Schilderung ihrer chaotischen Kindheit und aktuellen Lebenssituation kennen. Sie tat mir leid, aber ich wurde mit ihr nicht richtig warm. Es gibt einen Grund, warum sie oft so unwirrsch und unfreundlich wirkt, aber das macht sie trotzdem nicht sympathischer. Ich konnte nachvollziehen, dass sie unbedingt ihre Mutter finden will, aber dennoch blieben mir manche ihrer Reaktionen unverständlich. Finch fand ich anfangs sehr sympathisch, da dachte ich noch, dass viel mehr um die Beziehung der beiden gehen würde. Er ist der Charakter, der mich in diesem Buch am meisten überrascht hat. Das war definitiv unerwartet.
Die anderen Charaktere sind überwiegend unsympathisch, sowohl die in der realen als auch in der Märchenwelt. Irgendwann war ich aber auch an dem Punkt, dass ich auch den netten Personen gegenüber immer misstrauisch blieb. Man konnte nie wissen, was jemand als Nächstes tun würde.
Alices geheimnisvolle Geschichte
Es stellt sich heraus, dass der dichte Wald noch viel mehr verbirgt als das Anwesen Hazel Wood. Er präsentiert Überraschungen und Gefahren. Die grausame Märchenwelt ihrer Großmutter ist eng mit der realen Welt verwoben. Schließlich findet Alice heraus, welches Geheimnis ihre Mutter immer vor ihr verborgen hat.
Was anfangs wie der Bericht über eine Jugendliche aus etwas chaotischen Familienverhältnissen wirkt, die als Außenseiterin Probleme in der Schule hat, wird schnell zu einer düsteren, fesselnden Geschichte. Die Erlebnisse der beiden Jugendlichen nehmen einige völlig überraschende Wendungen. Stellenweise wurde es sehr spannend, manche Passagen fand ich ziemlich gruselig (klar, dass ich ausgerechnet da alleine zu Hause war).
Albtraum oder Realität?
Mir gefiel es gut, dass vieles ziemlich unvorhersehbar war. Etliche Charaktere handelten nicht so, wie ich es erwartet hatte, und durch die Verknüpfungen der beiden Welten geschahen überraschende Dinge. Langeweile kam daher keine auf.
Die Geschichte hat einen ziemlichen Gruselfaktor, ist teilweise auch recht brutal. Vor allem die Märchenwelt ist ganz anders, als man sie sich gemeinhin vorstellt. Ich hatte beim Lesen dieser Kapitel die ganze Zeit ein beunruhigendes Gefühl der Bedrohung. Leider blieb diese Welt etwas blass, sie hätte für meinen Geschmack ausschweifender, farbiger geschildert werden können.
Schade fand ich auch, dass die Schilderung von Hazel Wood es nicht geschafft hat, das Haus wirklich vor meinem geistigen Auge entstehen zu lassen. Auch das Ende hat mich nicht ganz überzeugt, auch wenn ich es nicht vorhersehen konnte.
Gut gefallen haben mir dagegen die eingeflochtenen Märchen aus der Feder von Althea Proserpine. Sie sind so gar nicht wie gewöhnliche Märchen, ziemlich dunkel und voller Gewalt, aber ich fand sie irgendwie faszinierend.
Ich hatte mich sehr gefreut, einmal ein abgeschlossenes Buch vor mir zu haben und ich finde, es hätte durchaus an dieser Stelle enden können. Aber es soll wohl eine Fortsetzung geben.
Fazit: Alice verschlägt es in eine düstere, geheimnisvolle Welt voller Gefahren, die sie bewältigen muss, um ihre Vergangenheit zu verstehen. Ungewöhnliche Geschichte mit überraschenden Wendungen für Leserinnen und Leser ab 14 Jahren, die ein bisschen Grusel und Bedrohung abkönnen.
Melissa Albert: Hazel Wood. Wo alles beginnt. Aus dem amerikanischen Englisch von Fabienne Pfeiffer. Dressler 2018. 352 Seiten, Euro 19,00, ISBN 978-3-7915-0085-0.
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