Finja Skadi Vollbrecht, Christoph Fromm: Gottfried, der Turborabe. Ennos gefährliche Reise

Finja Skadi Vollbrecht, Christoph Fromm: Gottfried, der Turborabe. Ennos gefährliche Reise

Der tollste Rabe der Welt

Gottfried, der Rabe, ist ganz schön selbstbewusst! Er bezeichnet sich als den größten, tollsten und besten Raben der Welt. Wer kann ihn zeichnen? Natürlich nur einer, er selbst. Und wer kann seine Geschichte aufschreiben? Auch er, klar. Und tatsächlich ist er ein ganz besonderer Rabe: Er fliegt nicht aus eigener Kraft, sondern besitzt einen Turbodüsenmotor mit 300 PS.

Und so erleben wir mit, wie Gottfried von den Füßen bis zum Schnabel langsam Gestalt annimmt. Dann  packt er für seine Reise, bevor er seinen Turbodüsenmotor auf den Rücken schnallt – und schon geht es los Richtung Spanien. Als er über das Meer fliegt, sieht er einen kleinen Punkt im Wasser. Zum Glück hat sein Motor gerade einige Aussetzer, sonst wäre er nie hinuntergeflogen, um nachzuschauen. So aber lernt er Enno kennen, einen kleinen afrikanischen Jungen, der sich verzweifelt an einen Rettungsring klammert. Weil sie fast verhungert sind, ist er mit seiner Familie aus Afrika geflüchtet, aber das Boot ist gekentert. Gottfried würde gerne Hilfe holen, aber sein Motor lässt sich nicht wieder starten. Zum Glück ist der Vater des achtjährigen Ennos Ingenieur, sodass der Junge sich mit Motoren auskennt und ihm helfen kann. Gottfried pustet seine Luftmatratze auf, Enno klettert hinauf und beginnt mit der Reparatur.

Enno holt mit der Spitze eines Schraubenziehers ganz viel Schmutz aus dem Motor. Vorwurfsvoll hält er Gottfried etwas unter den Schnabel. Es sieht aus wie eine lange, schwarze Schnur.
„Was ist denn das?“, fragt Enno.
Gottfried wird etwas verlegen. „Woher soll ich das wissen?“, brummt er.
„Das weißt du ganz genau“, sagt Enno und seine dunklen Augen blitzen. „Das ist ein Stück verbrannter Regenwurm.“

Die Geschichte einer Flucht

Eine ernste Geschichte ist hier in eine Handlung mit lustigen Elementen verpackt. Der Flüchtlingsjunge Enno treibt auf dem Meer, kämpft um sein Leben und vermisst seine übrigen Familienmitglieder. Gottfried möchte erst Siesta machen, hilft Enno dann aber doch. Beide landen in einem Flüchtlingslager, wo der Sohn des Polizeichefs alle tyrannisiert. Doch sie können ihn überlisten und schließlich auf die Suche nach Ennos Familie gehen.

Kann man ein solch schwieriges Thema in einem lustigen Kinderbuch umsetzen? An sich müsste das möglich sein, hier finde ich die Umsetzung nur mittelmäßig. Die Handlung gleitet für meinen Geschmack zu oft ins Klamaukige ab, zum Beispiel bei der Smoothie-Szene.

Lustig finde ich die Grundidee von einem Raben mit einem Turbomotor, der sich eine Kühltasche voller Regenwürmer mit Sahne einpackt. Gottfried erkennt jedoch den Ernst der Lage überhaupt nicht. Nur ungern gibt er dem hungernden Jungen einen Regenwurm zum Angeln ab. An Land angekommen, will er erst einmal Siesta machen und sich von Flamingodamen verwöhnen lassen, die ihm die Füße massieren sollen. Ein mitteleuropäischer „Mann“ fliegt zum Urlaub in den Süden, um sich von mehreren Frauen gleichzeitig verwöhnen zu lassen? In einem Kinderbuch? Im Ernst? Das finde ich arg sexistisch. Leider finden sich noch weitere Klischees.

Gottfried wird nur dann aktiv, wenn ihm nichts anderes übrig bleibt: als sein Motor kaputt ist oder als spanische Polizisten die beiden am Strand einsammeln und in ein Flüchtlingsheim bringen.

Nicht verstanden habe ich die Sache mit dem Regenwurm-Smoothie. Enno macht sich plötzlich Gedanken um die armen Regenwürmer und Gottfried erklärt ihm, dass sie am nächsten Tag wieder an der frischen Luft sein werden. Erstens wissen Kinder sehr gut, was mit den Sachen passiert, die in einem Mixer zu einem Smoothie verarbeitet werden (also auch, dass sie nicht im Bauch herumkrabbeln werden), und zweitens hatte Enno beim Angeln auch kein Mitleid mit seinem Köder.

Nicht gut gefällt mir auch, dass bei so einem ernsten Thema die Geschichte am Ende nicht aufgelöst wird. Was ist mit Ennos Eltern und der kleinen Schwester passiert? Sind sie im Meer ertrunken? Das finde ich für Kinder im Grundschulalter problematisch, zumindest für die jüngeren.

Mich hat auch gestört, dass erst Gottfried ankündigt, die Geschichte zu erzählen, dass dann aber ein Erzähler von Gottfried in der dritten Person erzählt. Das ist schade, da hätte man sich die Einleitung auch sparen können.

Das Buch wird als Erst- und Vorlesebuch bezeichnet. Ich finde, es ist eindeutig ein Vorlesebuch. Für ein Erstlesebuch ist es meines Erachtens zu lang, auch kommen viele lange und komplizierte Wörter vor. Vor allem würde ich mein Kind mit der Thematik nicht alleine lassen wollen. Besser, man liest das Buch vor, dann kann man alle aufkommenden Fragen gleich beantworten.

Fazit: Ein Rabe rettet einen schiffbrüchigen Flüchtlingsjungen aus dem Meer und später aus einer Flüchtlingsunterkunft und geht mit ihm auf die Suche nach seiner Familie. Der Versuch, das ernste Thema lustig umzusetzen, gelingt nur teilweise. Sicher kann das Buch aber dabei helfen, mit Kindern im Grundschulalter ins Gespräch über das Thema zu kommen.

Finja Skadi Vollbracht, Christoph Fromm: Gottfried, der Turborabe. Ennos gefährliche Reise. Primero 2017. 73 Seiten, Euro 12,90, ISBN 978-3-9818454-2-6.

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Ich danke dem Verlag für das Rezensionsexemplar.