Philippe Lechermeier, Rébecca Dautremer: Die Bibel

Es gibt zahlreiche Nacherzählungen der Bibel für Kinder mit mehr oder weniger kindgerechten Texten und bunten Bildern. Meist richten sie sich an relativ kleine Kinder. Diese Ausgabe ist jedoch gut für ältere Kinder und Erwachsene geeignet. Ich bin total fasziniert: Die altbekannten Texte lesen sich richtig spannend, sodass ich in den letzten Tagen immer wieder nach dem Buch griff und ein paar Kapitel gelesen habe. Die Geschichten sind jeweils ganz unterschiedlich aufbereitet: „Die schreckliche Geschichte von Kain und Abel“ ist in Strophen und Reimform verfasst, sodass sie wie ein Bänkelgesang wirkt. Bei der Geschichte von Babel fragt ein Reisender einen Mann, der ihm begegnet, ob er schon gehört hat, was damals in Babel passiert ist, und erzählt aufgeregt die Ereignisse – um ihm am Ende, als er richtig abgelenkt ist, den Geldbeutel zu stehlen. Das Leben des Josef kommt als Drama mit mehreren Akten, während eine Mücke Mose auf seinem Lebensweg begleitet und als Augenzeuge in mehreren Gesängen berichtet, wie es ihm ergangen ist. Josuas Leben dagegen wirkt eher wie eine Ansammlung von Lexikonartikeln. Auch typografische Elemente wie unterschiedliche Schriftgrößen werden geschickt genutzt, um den Text aufzulockern. Theologen würde manches vielleicht nicht gefallen, weil es nicht wortgetreu erzählt ist, aber mir gefallen die vielen kleinen, in der Bibel ungenannten Details, die die Geschichten richtig lebendig machen. So zum Beispiel bei der Geschichte vom zwölfjährigen Jesus im Tempel:

Drei Tage. Drei Tage suchten sie ihren Sohn, durchkämmten jede Straße, jede Gasse, fragten jeden Passanten und jeden Händler.
Und als alles verloren schien, als sie zum hundertsten, zum tausendsten Mal dieselbe Frage gestellt hatten, nickte ein alter Mann. Er hatte ihn gesehen, ja … Ja, er erinnerte sich an einen Jungen mit sanften, leuchtenden Augen, der ohne Eltern unterwegs war. In dem großen Tempel hatte er ihn gesehen. Und er deutete auf die Eingangstür.

Dazu kommen die wundervollen Bilder von Rébecca Dautremer. Bleistift- und Sepiazeichnungen überwiegen, es gibt jedoch auch zahlreiche bunte Bilder in blassen und einige wenige in leuchtenden Farben in den verschiedensten Größen. Ich kann nicht anders, ich muss schwärmen: Die Bilder sind faszinierend, beeindruckend, atemberaubend, originell, es gab auch ein paar, die ich als ein wenig verstörend empfand. Üblicherweise werden die biblischen Figuren in Kleidung und mit Frisuren dargestellt, die in die Zeit zu passen scheinen. Das ist hier nicht der Fall. Da wird zum Beispiel auch ein Kinderwagen durchs Rote Meer geschoben oder die Kleidung wirkt modern oder sehr exotisch, in keine bestimmte Kultur oder Zeit gehörig. Ein Detail, das mich sehr beeindruckt hat, ist, dass Adam und Eva teils hell-, teils dunkelhäutig sind.

Diese Bibel ist nicht nur etwas für eingefleischte Christen. Sie ist auch dazu geeignet, denjenigen, die ihren Inhalt als Kulturgut kennenlernen wollen, einen angenehmen, spannenden Zugang zu bieten. Vor allem ist dieses Buch aber eine bibliophile Kostbarkeit. Ein Muss-ich-haben-Buch für Buchliebhaber. Für alle ab etwa 14 Jahren.

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Philippe Lechermeier, Rébecca Dautremer: Die Bibel. Aus dem Französischen von Rosemarie Griebel-Kruip, Sarah Pasquay und Kristina Schaefer. Coppenrath 2014. 384 Seiten, Euro 44,–, ISBN 978-3-649-62116-4.

Zur Verlagsseite – bei Amazon – und in jeder Buchhandlung.

Ich danke dem Verlag für das Rezensionsexemplar.