Langweilige Sommerferien voraus
Weil sein Vater als Maskenbildner in Bayreuth Arbeit gefunden hat, „darf“ der zwölfjährige Henry seine Sommerferien in Deutschland verbringen statt an einem coolen Ort. Im Vergleich zu San Francisco, wo sie sonst leben, ist das ein Nest. Henry ist überhaupt nicht begeistert. Auch die Pension „Esche“, in der die beiden untergekommen sind, ist sehr merkwürdig: Können Frau Skuldmöller, Frau Urdmann und Frau Verdan-Dimitrowski tatsächlich ihr Alter ändern? Auch Hilda, deren Nichte, kommt Henry merkwürdig vor. Als er bei einer Pizzeria anruft, wird er auch noch überfallen. Henry hat einerseits die Nase voll, andererseits ist er neugierig geworden. So kommt er einem Geheimnis auf die Spur, lernt den nordischen Göttervater Wotan kennen und begibt sich zusammen mit dem etwas blöden Held Siegfried, der mutigen Brunhild (aka Hilda) und einer Norne auf die gefährliche Mission, die Welt vor dem bösen Zwergenkönig Alberich zu retten, der alle Macht an sich reißen will. Was er dazu braucht: ein Stück aus dem sagenhaften Schatz der Nibelungen.
„Aber Chef, das können wir nicht machen! Kein Mensch hat das je gesehen. Was ist, wenn er nicht dichthält?“
Anstatt des Grauhaarigen antwortet Hilda.
„Er wird niemandem etwas sagen. Es würde ihm auch niemand glauben. Aber wir brauchen ihn. Ich habe ihn in meinen Träumen gesehen, lange bevor er gekommen ist – und das weißt du!“
Der Grauhaarige atmet schwer.
„Ja, ich weiß es. Aber ich hatte ihn mir irgendwie … anders vorgestellt.“
Ein Abenteuer mit Göttern und Helden
Dank seines Vaters kennt sich Henry zum Glück ein klein wenig in der nordischen Götterwelt aus. Trotzdem will er es natürlich zunächst nicht glauben, dass er tatsächlich Sagengestalten gegenübersteht. Doch nach einigen Beweisen Wotans bleibt ihm nicht viel anderes übrig. Henrys Ferien im langweiligen Deutschland werden schlagartig um ein Vielfaches spannender, als er es sich hätte vorstellen können. Er reist nach London, nach Südengland – und dann sogar durch die Zeit. Dabei lernt er noch mehr vermeintliche Sagengestalten kennen.
Ein Durchschnittsjunge – wie die Leser
Henry ist ein sympathischer Protagonist. Im Gegensatz zu all den Sagenwesen und Göttern um ihn herum verfügt er über keinerlei herausragende Fähigkeiten. Doch gerade das stellt sich im Verlauf der Geschichte immer wieder als sehr wichtig heraus. Henry hat eben einen ganz normalen Blick auf die Welt und deren Bewohner, sodass er zum Beispiel mehr als die anderen darauf achtet, dass sie nicht auffallen. Die meisten Leser werden sich gut in ihn hineinversetzen können – um sich so vorzustellen, sie wären an seiner Stelle.
Die Leserinnen dagegen können sich sicherlich mit Hilda identifizieren, die zwar gelegentlich ziemlich zickig ist, aber über einige coole Fähigkeiten verfügt und Henry dann wohl doch irgendwie ganz gerne mag. Dass Siegfried zwar stark ist, sich aber oft blöd anstellt, sorgt für den einen oder anderen Lacher. Die drei Nornen sind ein wenig gruselig, wenn sie in Aktion treten, wirken aber sonst wie nette ältere Damen. Mit Göttervater Wotan möchte man lieber nichts zu tun haben müssen.
Mission: die Rettung der Welt
Das Abenteuer, das Henry erlebt, ist vielleicht an der einen oder anderen Stelle ein wenig überdreht, aber auch sehr spannend. Wie James Bond ausgestattet mit praktischen technischen Spielereien sieht er sich Herausforderungen gegenüber, von denen er noch eine Woche vorher nicht einmal geträumt hätte. Im weiteren Verlauf begegnen die Weltenretter noch weiteren interessanten Personen wie König John, Robin Hood und einer Frau, bei der mir sofort klar war, um wen es sich handelt, was sich im Buch aber erst recht weit am Ende klärt. Es kommt darauf an, wie sehr die Kinder mit alten Sagen vertraut sind, ob sie auch darauf kommen – wenn nicht, schadet es nichts. Bei diesen Begegnungen wird auch die Geschichte ein wenig geradegerückt. Nicht alles, was uns überliefert wurde, hat sich – zumindest nach den Erlebnissen der Zeitreise – auch tatsächlich so zugetragen. Schon damals haben manche besser an ihrer PR gearbeitet als andere … Das ist natürlich recht amüsant zu lesen.
Auf in die Vergangenheit
Unsere moderne Welt trifft auf das England König Johns und die Welt der Sagen und Mythen: Das muss natürlich zu allerlei spannenden Verwicklungen führen, die zu verfolgen großen Spaß macht. Die Geschichte hat Schwung, bringt einige Überraschungen und liest sich sehr angenehm. Die Handlung wird von Henry selbst erzählt, die Sprache ist infolgedessen die eines Zwölfjährigen:
Bei den letzten Worten wirft Faye Robin einen Blick zu, der eine ziemlich genaue Mischung aus Bambi und Selena Gomez sein dürfte.
Gestört hat mich lediglich, dass Gott Loki hier als Loge bezeichnet wird. Diesen Namen gibt es wirklich, wie ich nachgeschlagen habe, er ist mir aber noch nie untergekommen, obwohl wir schon viel über die nordische Götterwelt gelesen und gesehen haben, auch in Skandinavien im Urlaub. Kinder, die sich mit dem Thema auskennen, dürften darüber stolpern.
Ein wirklich gelungener Serienauftakt, der Lust auf Band 2 macht.
Fazit: Eine temporeiche Reise in die Welt der Sagen mit spannenden Abenteuern, lustigen Erlebnissen und einem Helden wie du und ich für Kinder von 10 bis 12 Jahren.
Frauke Scheunemann: Henry Smart 1. Im Auftrag des Götterchefs. Oetinger 2017. 288 Seiten, Euro 16,99, ISBN 978-3-7891-0423-7.
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