Frank M. Reifenberg, Gina Mayer: Die Schattenbande legt los!

Berlin, irgendwann in den 1920er-Jahren. Die vier Kinder Otto, Klara und die Geschwister Paule und Lina sind aus dem Waisenhaus ausgerissen uns müssen sich nun alleine durchschlagen. Sie wohnen in einer verlassenen Tischlerei, aber der Hunger ist ihr ständiger Begleiter. Inzwischen sind sie ziemlich gute Taschendiebe geworden, sie nennen sich „Die Schattenbande“. Vor allem Klara ist sehr geschickt. Doch an diesem Morgen auf dem Markt fällt sie herein: Die vornehme Dame, auf deren Geldbörse sie es abgesehen hat, entpuppt sich als Wachmeister Eltinger! Doch zum Glück schafft sie es in einer wilden Verfolgungsjagd gerade noch, ihm zu entkommen. Allerdings auf höchst merkwürdige Weise, denn plötzlich taucht eine Tür auf und sie landet im Varieté Schwarze Katze, wo sie merkwürdige Personen kennenlernt und eine Vorhersage erhält: Zimmer 56.

Sie weiß nicht, was sie damit anfangen soll, aber als sie (immer noch hungrig) zurück in die Tischlerei kommt, erfährt sie, dass Otto verhaftet wurde. Angeblich soll er die Großfürstin Drosskova umgebracht haben. So ein Unfug, so etwas würden die Schatten nie tun, sie stehlen nur, um zu überleben!

Für Kommissar Trettoff ist Otto der Hauptverdächtige, aber sein Kollege Budde, der für die vielen Einbrüche und Juwelendiebstähle in der Stadt zuständig ist, scheint ihn für unschuldig zu halten. Nachdem Klara Otto befreit hat (aus Zimmer 56!), sind die Schatten damit beschäftigt, den Fall aufzuklären, um Ottos Unschuld zu beweisen. Dabei kommen sie immer wieder in Gefahr: Nicht nur die Berliner Polizisten auch zwei russische Agenten sind hinter ihnen her. Ob es weiterhilft, die Drsskova in einer Séance zu befragen?

Die vier Mitglieder der Schattenbande sind sehr sympathisch. Im ersten Moment erinnerten sie mich an die Fünf Freunde: ein Mädchen, das sich wie ein Junge kleidet (Klara), ein jüngeres Mädchen, das immer darum kämpfen muss, überhaupt mitgenommen zu werden (Lina) und zwei Jungs. Aber sehr schnell stellte sich heraus, dass die Charaktere doch vollkommen anders und überhapt sehr besonders sind. Die Kinder sind ungebildet, können fast alle kaum lesen und haben ein hartes Schicksal hinter sich. Ständig sind sie hungrig, aber sie lassen sich nicht unterkriegen und sie halten zusammen. Lina ist die einzige, die gut lesen kann. Sie verbringt oft Zeit in der Bibliothek und verblüfft die anderen mit ihrem Wissen. Paule dagegen ist ein guter Tüftler, ein Meister darin, verschlossenen Türen zu öffnen. Und Otto ist ein Draufgänger mit vielen Ideen, auch wenn Klara meist einen Tick cleverer ist. Zusammen ergeben sie ein gutes Team.

Die anderen Charaktere bleiben naturgemäß blasser, sind aber auch alle irgendwie besonders und so gut beschrieben, dass sie für den Leser lebendig werden: der stürmische Journalist Billy Barrakuda, der dicke Kommissar Trettoff, der ängstliche Zahnarzt Dr. Antonov, das weicherzige Muttchen Pieper, die Varietébesitzerin Madame Fatale und die grün gekleidete Yvette Lorraine. Die Handlung ist vom ersten Momente an spannend – besonders wichtig, damit die Kinder bei der Stange bleiben. Bei diesem Buch besteht aber gar keine Gefahr, dass der Leser mittendrin gelangweilt abbricht. Selbst ich als Erwachsene musste mich dazu zwingen, das Buch nachts aus der Hand zu legen, weil mir die Augen zufielen. Ein bisschen schade finde ich, dass immer wieder gewisse übersinnliche Ereignisse notwendig waren, um die Kinder zu retten. Das nimmt der Geschichte, die in einer sehr , bodenständigenWelt spielt, für mich ein klein wenig von ihrer Glaubwürdigkeit: Türen, die plötzlich aus dem Nichts erscheinen, ein Geist, der einen entscheidenden Tipp gibt, endlose dunkle Gänge mit einem mysteriösen Bewohner … Aber egal, das hat dem Lesespaß keinen Abbruch getan.

Die Handlung wird durch zahlreiche Schwarz-weiß-Illustrationen aufgelockert, auch gelegentliche Zeitungsartikel beleben den Text. Paule berlinert ziemlich. Zuerst hatte ich Zweifel, ob die Kinder das verstehen. Dann aber fiel mir ein, dass ich früher auch solche Bücher gelesen und problemlos verstanden habe. Warum sollten das die Kinder von heute also nicht schaffen? Zumal Lina ihn gerade am Anfang immer verbessert, sodass die Kinder sich gut an seine Sprache gewöhnen können.

Was mir gut gefallen hat, ist die Art, wie das historische Berlin eingeflochten wird. Da wird nichts ausführlich erklärt, sondern ganz nebenbei tauchen die Elektrische, Pferdedroschken und Litfaßsäulen auf und erklären sich aus dem Zusammenhang. So entsteht ein Bild von Stadt und Zeit, ohne dass es in irgendeiner Weise belehrend wirkt. Sehr schön gelöst!

Wie es sich in einem Buch für Kinder gehört, gibt es natürlich ein glückliches Ende. Bis dahin passiert aber allerhand, die Sache ist nicht ungefährlich, Otto wird sogar angeschossen. Also nichts für allzu zarte Nerven. Allen anderen, und zwar Jungen und Mädchen gleichermaßen, kann ich aber eine spannende, unterhaltsame Geschichte versprechen.

Die Schattenbande legt los! ist der erste Band einer neuen Serie für Kinder ab 10 Jahren, die würdiger Nachfolger von Emil und die Detektive, Kalle Blomquist oder den Fünf Freunden werden könnte. Das Buch wurde mit dem Leipziger Lesekompass ausgezeichnet.

Dies ist wieder eine Rezension für Blogg dein Buch!

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Frank M. Reifenberg, Gina Mayer: Die Schattenbande legt los! Illustrationen Gerda Raidt. Bloomoon 2014. 240 Seiten, Euro 12,99, ISBN 978-3-7607-9936-0.

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