Berlin, 1933. Leo lebt mit seiner Familie im vierten Hinterhaus. Weil sie wenig Geld haben, arbeitet er schon vor der Schule als Zeitungsjunge. Sein Vater findet als Sozialdemokrat nach der Machtergreifung Hitlers keine Arbeit mehr, daher wandern sie nach Amerika aus. Zuerst geht die Fahrt mit dem Zug nach Bremerhaven, von wo aus es mit dem Schiff weitergeht. Vor dem Einsteigen kommt es zu einem Zwischenfall: Weil ein Seil reißt, stürzt eine Ladung Gepäck nach unten. Leo fällt ein Heft vor die Füße, ein Tagebuch, das ein Mädchen vor vielen Jahren während der Ausgrabungen seines Vaters in Ägypten gemacht hat. An Bord vertieft er sich in das Buch, wird beim Lesen aber erst von Luise aus der ersten Klasse gestört, später noch von Emile, mit dem er die Kabine teilt. In dem Tagebuch ist vom Fluch einer Mumie die Rede. Später taucht eine Mumie bei einer Seance auf und Schiffsjunge Wilhelm berichtet, dass eine Mumie an Bord sei. Das ungleiche Quartett stellt Nachforschungen an. Dabei schleichen sie nachts durchs Schiff, kommen hinter üble Machenschaften, finden zwei blinde Passagiere und erleben so viele Abenteuer, dass die fünftägige Fahrt keine Minute langweilig ist. Selbst nach ihrer Ankunft in New York bleiben sie den Geheimnissen auf der Spur …
Die Rahmenhandlung des Buches ist die Auswanderung der Familie nach Amerika. Die politische Situation in Deutschland, die Auslöser dafür war, wird an verschiedenen Stellen thematisiert. Auch wie eine Auswanderung damals ablief wird erklärt, von den Visa und dem nötigen Geld bis zur unterschiedlichen Behandlung der Passagiere der 1. und der 3. Klasse bei der Einreise. Ganz nebenbei erfährt der Leser auch allerhand darüber, wie solch ein großes Schiff aufgebaut war, wie die Abläufe waren, die die unterschiedlichen Passagiergruppen unterbracht und behandelt wurden. Ganz nebenbei wird also eine Menge Wissen vermittelt. Dazu kommt aber eine spannende Geschichte um eine geheimnisvolle Mumie, die die Leser fesselt. Da Leo und seinen Freunden aber auch das eine oder andere Missgeschick passiert, gibt es auch allerhand zu lachen.
Die Kinder sind ganz verschiedene Charaktere mit sehr unterschiedlichem Hintergrund: die feine Luise aus gutem Hause, die es in der dritten Klasse viel lustiger findet als in der ersten, der Schiffsjunge Willhelm, der das Schiff natürlich wie seine Westentasche kennt, Emile, der seiner Mutter bei ihren Seancen helfen muss und eben Leo, der noch nichts von der Welt gesehen hat und von den vielen neuen Eindrücken überwältigt wird. Ihr gemeinsames Ziel sorgt dafür, dass sie zusammenhalten. Die Eltern bleiben meist relativ blass im Hintergrund, sie sind ziemlich gutmütig angesichts dessen, was ihre Kinder so anstellen. Dazu kommen noch der mysteriöse Schiffsdetektiv, der Nazi, der Kriminelle, der erster Klasse reist und die nette Mrs Greenbush, eine Archäologin, die die Mumie nach New York überführt.
Die thematische Mischung hat mir sehr gut gefallen, sie macht das Buch zu einem Lesevergnügen. Ein besonderes Plus ist aus meiner Sicht das Nachwort. Hier wird auf drei Seiten kurz etwas zur Geschichte der Auswanderung nach Amerika mit all ihren Erschwernissen und Gefahren gesagt und sie mit der heutigen Einwanderung nach Deutschland verglichen. So weist die Autorin darauf hin, dass bis 1920 5,5 Millionen Deutsche nach Amerika auswanderten – und die Mehrheit das war, was wir heute als Wirtschaftsflüchtlinge bezeichnen. Heute hat sich die Situation verändert und die Menschen kommen nach Deutschland, mit ihrer Kultur, was von vielen als störend empfunden wird.
Gerne übersehen wir, dass auch Millionen Deutsche ausgewandert sind, mit im Gepäck ihre Kultur, auf die man in Deutschland immer wieder stößt. Sind wir nicht stolz darauf, das zum Beispiel die deutschen Auswanderer den Weihnachtsbaum nach Amerika gebracht haben? Warum soll es gut sein, wenn wir Deutsche es machen, wenn es aber andere machen, ist es schlecht? (S. 286)
Ein in vielerlei Hinsicht lesenswertes Buch für Kinder von 9 bis 12 Jahren.
Claudia Frieser: Leo und der Fluch der Mumie. Dressler 2015. 288 Seiten, Euro 12,99, ISBN 978-3-7915-0711-8.
Zur Verlagsseite – bei Amazon – und in jeder Buchhandlung.
Ich danke dem Verlag für das Rezensionsexemplar.