Annika Thor, Maria Jönsson: Das Mädchen von weit weg

An einem Winterabend, der Wald ist schon ganz dunkel, kommt ein kleines Mädchen zu einem Haus. Es muss mehrfach klopfen, bis ihm geöffnet wird. Im Haus wohnt eine Frau, „die Graue“. Sie lebt allein und mag keine Gesellschaft haben. Unwillig macht sie dem Mädchen zunächst Milch warm, dann lässt sie es übernachten, aber nach dem Frühstück schickt sie es zurück in den kalten Winterwald und genießt ihre zurückgewonnene Ruhe. Doch irgendwie ist alles anders als zuvor. Unruhig macht sie sich auf die Suche nach dem Mädchen …

Es war Abend, als sie kam.
Alle Sterne leuchteten, und der Schnee blinkte im Mondlicht.
Aber der Wald war ganz dunkel und still.

Eine hartherzige Frau wird angesichts des kleinen, heimatlosen Mädchens weich. Zunächst versucht sie noch, ihre Haltung vor sich selbst aufrechtzuerhalten, doch schnell bereut sie ihre Härte. Schon nach einer Nacht des Zusammenseins fehlt ihr etwas. Das Mädchen muss etwas in ihr berührt haben. Und sie wird ihre Entscheidung nicht bereuen, denn ihr Leben wird viel bunter. Das drückt sich auch in den Zeichnungen aus: Schon als die Graue auf die Suche nach dem Mädchen geht, zieht sie einen roten Schal an. Das Mädchen trägt einen roten Anorak und ist damit ein Farbklecks auf allen Bildern, die sonst eher düster sind: dunkle Tannen, weiß-grauer Schnee, ein graues nächtliches Zimmer (aber unter der Bettdecke des Mädchens leuchtet es rot). Ansonsten bringt zunächst nur das Kaminfeuer Farbe ins Bild.

„Ich kann mich nicht um dich kümmern“, sagte die Graue. „Ich weiß überhaupt nicht, wie man sich um ein Kind kümmert. Und überhaupt will ich lieber allein sein.“

Der Text ist gut verständlich mit vielen Dialogen. Natürlich werden die Kinder fragen, woher das Mädchen kommt, warum es alleine ist. Das erklärt es zwar auf Nachfrage der Grauen, aber nicht wirklich zufriedenstellend. Die Kinder werden sich ihre Gedanken machen, wie es dazu kommen konnte. Auch werden viele Kinder empört darüber sein, dass die Graue das Kind einfach wieder wegschickt. Darf man das? Aber dann nimmt das Geschehen eine positive Wendung. Das Mädchen hat es mit seiner bloßen Anwesenheit geschafft, das Herz der einsamen Frau anzurühren. Und das Schönste: Dadurch, dass sie sich auf die Begegnung mit dem fremden Kind eingelassen hat, wird ihre triste graue Welt wieder bunt.

„Jetzt gehen wir“, sagte das Mädchen.
„Ja, jetzt gehen wir“, sagte die Graue.
Und dann gingen sie.

Ein poetisches Kinderbuch für Kinder von 4 bis 6 Jahren, das viel Stoff zum Nachdenken, Diskutieren und Philosophieren gibt.

Cover_Thor_DasMädchenvonweitweg

Annika Thor, Maria Jönsson: Das Mädchen von weit weg. Aus dem Schwedischen von Kerstin Behnken. Oetinger 2016. 32 Seiten, Euro 12,99, ISBN 978-3-7891-0422-0.

Zur Verlagsseite – bei Amazon – über Buchhandel.de – und in der Buchhandlung um die Ecke.

Ich danke dem Verlag für das Rezensionsexemplar.