Die Übersetzung einer Übersetzung einer Übersetzung – vom Wort zur Zeichnung und zurück (von Anne Thomas)

Ein Gastbeitrag von Anne Thomas, die das Kinderbuch Papa ist doch kein Außerirdischer von Anna Boulanger aus dem Französischen ins Deutsche übersetzte (oder eher nachdichtete, wie mir scheint), in dem es um Schimpfwörter für Schwule geht (zur Rezension). Wie man sieht, eine äußerst anspruchsvolle Aufgabe!

Neulich entdeckte ich mit großer Freude die tolle Rezension meiner Übersetzung Papa ist doch kein Außerirdischer auf Danielas Blog. Als ich die Kommentare las, kam mir die Idee, über die Entstehung dieser speziellen Übersetzung zu berichten.

Ich übersetzte 2013 Inhaltsangaben mehrerer Kinderbücher fürs Goethe-Institut. Anna Boulangers Papa, c’est quoi un homme haut sekçuel? faszinierte mich gleich. Deshalb kaufte ich mir das Buch und entdeckte, dass es noch dazu illustriert ist – damit nahm der Schwierigkeitsgrad zu. Und gleichzeitig wusste ich sofort: Das ist ein Buch für den kunstanstifter verlag! Wie übersetzte ich nun?

Ich begann mit einem Brainstorming unter alten Schulfreunden (einer von ihnen ist schwul): „Leute, nennt mir doch mal ein paar Schimpfwörter für Homosexuelle!“ Nach den ersten geschockten Blicken und Erklärungen meinerseits kamen ein paar vorsichtige Vorschläge. „Bitte möglichst schwammig, damit man sie gut missverstehen und wörtlich nehmen kann.“ Das war schwieriger. Uns fiel auf: Auf Deutsch ist das meiste sofort sehr vulgär und eindeutig. Ich setzte meine Recherchen im Internet fort. In einem wissenschaftlichen Text von Jody Skinner über Bezeichnungen von Schwulen und Lesben in Deutschland fand ich schon einiges, das besser passte. Offenbar waren ältere Schimpfwörter euphemistischer, wenngleich ebenso abwertend. Ich merkte bald, dass die französischen Bezeichnungen ebenfalls sehr archaisch waren – Anna Boulanger hatte in alten französischen Wörterbüchern gestöbert und Lust bekommen, die lächerlich ausweichenden und gleichzeitig sehr abwertenden Ausdrücke in Zeichnungen ad absurdum zu führen.

Mit meiner Liste deutscher Bezeichnungen setzte ich mich nun hin und bemühte mich, pro Illustration im Original ein passendes deutsches Schimpfwort zu finden. Die Idee, erst einmal den französischen Text ins Deutsche zu übersetzen, hatte ich schnell aufgegeben. Hier ging es vor allem darum, möglichst viele Originalillustrationen zu erhalten und dazu passende Bezeichnungen zu finden. Nachdem ich pro Bild einen Ausdruck hatte, machte ich mich ans Übersetzen. In einem Fall – „Uranien/Uranier“, funktionierte es tatsächlich wörtlich. Dann gab es Ausdrücke, die komplett anders waren, weshalb ich den Text dazu neu schreiben musste, zu denen die Illustration aber noch passte. Das war zum Beispiel der Fall bei „Hoch- und Tiefbau“. Und dann mussten bei ein paar einzelnen Ausdrücken, bei denen ich keinen Fließtext hatte, in dem ich noch einmal etwas erklären konnte, komplett neue Illustrationen angefertigt werden. Dafür traf ich Anna Boulanger und übersetzte ihr die deutschen Bezeichnungen wörtlich ins Französische, damit sie sie wiederum in eine Zeichnung übertragen konnte.

Netterweise las mein Kollege Frank Heibert meine Rohfassung noch einmal Korrektur und empfahl mir dann das Wörterbuch Sex im Volksmund von Ernest Bornemann. Dort fand ich noch einmal viel Material, ich änderte ein paar meiner Lösungen, informierte Anna Boulanger und erstellte die fertige Fassung. Dann machte Anna die neuen Zeichnungen, alles ging ins Lektorat und den Druck – und heraus kam nach 2 Jahren Vorarbeit Papa ist doch kein Außerirdischer.

Vielen Dank für diesen äußerst informativen Bericht, liebe Anne! Zwei Jahre Arbeit stecken in diesem Bilderbuch. Ich finde das sehr beeindruckend.
Und hier noch einmal alle wichtigen Informationen zum Buch:

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Anna Boulanger: Papa ist doch kein Außerirdischer! Aus dem Französischen von Anne Thomas. kunstanstifter 2016. 40 Seiten, Euro 20,00, ISBN 978-3-942795-43-2.

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