Telefonate nach Hause
Das Mädchen, das Schmutzige Füße genannt wird, geht immer zur Mittagszeit zum Spielen auf die Straße. Den anderen ist es dann zu heiß, doch ihm macht es nichts aus. Es mag es, den Migranten zuzuhören, die dann zu Hause anrufen. Es kann ihre Sprachen nicht verstehen und weiß doch, was sie erzählen: Wie gut es ihnen geht, dass sie Arbeit haben und Freunde und demnächst Geld schicken werden.
– Die Leute hier sind sehr nett, und wir feiern ein Fest nach dem anderen
– Ich spiele jetzt in einem Orchester, wir spielen auf Bällen und geben Konzerte für die Touristen, die auf unserem Kreuzfahrtschiff reisen …
Das Kind weiß, dass das nicht stimmt. Es selber würde auch gerne jemanden anrufen, aber es kennt seine Familie nicht oder weiß nicht, wo sie ist.
Ich denke an die Frau, die mich alleine ließ.
Vielleicht verließ sie mich, weil sie mich sehr liebte.
Ich würde gerne wissen, was aus ihr wurde,
und wenn sie noch lebt, ob sie sich an mich erinnert.
Aber eins weiß das Mädchen: Wenn es erwachsen ist, wird es Ingenieurin für Telekommunikation sei. Es will die Satelliten austricksen, damit die Migranten kostenlos telefonieren können.
Zerplatzte Träume
In diesem Buch wird wenig direkt gesagt. Wir erfahren über die Erzählerin nur, dass sie dunkelhäutig ist, von ihrer Mutter zurückgelassen wurde und nun eine neue Familie hat. Die anderen Kinder nennen sie „Schmutzige Füße“, was ich als sehr herabwürdigend empfinde, von ihr aber wohl nicht so empfunden wird – zumindest wird das von ihr nicht weiter thematisiert. Offensichtlich kennt sie die Nöte der Migranten, vor ihren Familien als erfolgreich dazustehen, und weiß, welche Lügen sie ihren Familien erzählen, weil sie ihnen die Hoffnung nicht rauben wollen.
Auch die Bilder lassen viel Raum für Fantasie und für Interpretationen, auch hier ist vieles nur angedeutet. Und trotzdem sagen sie sehr viel, wenn man genau hinschaut.
Die Botschaft wird klar. Die Menschen erzählen von zerplatzten Träumen, Not, Ängsten und Einsamkeit – man muss nur genau hinsehen und -hören. Ich denke, das ist nicht unbedingt ein Buch, das die Kinder alleine lesen sollten, auch wenn sie es könnten. Es ist ein Buch, das nachdenklich macht und nach dem die Kinder sicherlich Redebedarf und viele Fragen haben. Warum könnte die Mutter des Mädchens es zurückgelassen haben? Warum erzählen die Migranten nicht die Wahrheit über ihre Situation? Was sind Migranten überhaupt?
Etwas anderes, worüber man mit den Kindern unbedingt reden sollte, ist der Spitzname „Schmutzige Füße“, den ich als zutiefst rassistisch empfinde. Wie empfindet das Kind diesen Namen? Findet es ihn gut? Wenn nicht, warum nicht? Wie ist der Spitzname des Kindes? Hat es ihn wegen einer positiven Eigenschaft bekommen oder wegen einer negativen? Wie fühlt es sich damit? Wie würde es sich fühlen, wenn es wegen seiner Hautfarbe einen eindeutig negativen Spitznamen bekäme? Warum scheint die Erzählerin ihn als normal zu empfinden?
Fazit: Ein Buch für Kinder im Grundschulalter, das nachdenklich macht und Kindern helfen kann, die Situation von Flüchtlingen oder Migranten zu verstehen. Es eignet sich sicherlich auch gut für den Unterricht, zum Beispiel, um über rassistische Bezeichnungen zu sprechen.
Koldo Izagirre, Antton Olariaga: Schmutzige Füße. Aus dem Spanischen von Mona Steigerwald. Alibri 2017. 28 Seiten, Euro 14,00, ISBN 978-3-86569-255-9.
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Ich danke dem Verlag für das Rezensionsexemplar.