Johannes Groschupf: Lost Girl

Mit Computerspielen Geld verdienen

Jan möchte im Sommer unbedingt wieder nach Detroit, wo er sich als Austauschschüler so wohlgefühlt und in Mia verliebt hat. Doch es mangelt am nötigen Kleingeld, auch seine Eltern wollen ihm den Flug nicht finanzieren. Da erfährt er, dass Jugendliche gesucht werden, die ein Wochenende lang ein Computerspiel testen – für 800 Euro. Jan ist bei den Glücklichen, die mehrere Castingrunden überstehen und darf mit fünf anderen in ein abgeschiedenes ehemaliges Waisenhaus in Brandenburg. Das Computerspiel ist genial, man hat wirklich das Gefühl, im Geschehen zu sein. Vor allem kennt es offenbar die geheimsten Wünsche und Gedanken aller Teilnehmer. Jeder bekommt ganz individuelle Spielsequenzen. Alle sind begeistert. Doch Hannah hat das Gefühl, das Waisenhaus von früher zu kennen. Einige merkwürdige Dinge passieren, die die Jugendlichen verunsichern. Schließlich verschwindet Hannah. Die anderen beginnen, sie zu suchen. Doch dann vermischen sich Realität und Spiel immer mehr. Was ist da los?

Die Vorhänge blieben den ganzen Nachmittag zu. Wir spielten. Wir tauchten ab in die Welten von ilinx, in die Labyrinthe der heimlichen Wünsche und Träume, in verborgene Katakomben unserer Sehnsüchte und Visionen, die wir niemandem jemals erzählen würden.

Virtuelle Realität oder das das echte Leben?

Die sechs Jugendlichen haben sich fast alle für das Gaming-Wochenende beworben, weil sie die 800 Euro aus unterschiedlichsten Gründen sehr gut brauchen können. Nur Luc ist wirklich ein Gamer, der immer wieder begeistert in seine Zombie-Welten abtaucht. Doch alle sind geflasht davon, wie real sich das Spiel anfühlt. Mit Brille und Kopfhörer wird die Realität komplett ausgeblendet und wenn die Spielsequenzen nicht zeitlich begrenzt wären, würden sie gar nicht mehr aufhören wollen. Im Laufe der Zeit haben alle im Spielpausen Mühe, wieder im wahren Leben anzukommen, und es passieren merkwürdige Dinge. Vor allem auf Hannah ist die Wirkung stark. Als diese schließlich verschwindet, ist klar, dass sie sie suchen müssen. Doch wie das ablaufen soll, darüber gibt es heiße Diskussionen. Was dann passiert, mag ich nicht verraten, ich will ja nicht spoilern. Beim Lesen merkt man, wie sich die Gefahr immer mehr verdichtet, bis man sie nahezu greifen kann. Bei jedem Umblättern fürchtete ich mich ein wenig vor dem, was nun womöglich passiert. Schneller als die Jugendlichen selbst begriff ich, worauf das Ganze hinausläuft. Trotz dieser Erkenntnis bliebt die Spannung erhalten. Außerdem wurde ich sehr, sehr wütend. Es gelingt dem Buch also wunderbar, beim Leser starke Emotionen hervorzurufen.

Bedrohliche Atmosphäre, cooles Spiel

Die Jugendlichen mit ihren so unterschiedlichen Charakteren fand ich glaubwürdig beschrieben. Letztlich werden verschiedene Typen beschrieben, ohne im Detail darauf einzugehen. Das war, fand ich, auch nicht unbedingt nötig. Luc, der Gamer, die etwas zickige Lilli, die das Haus eklig findet, aber Geld zum Shoppen braucht, Alex, der gerne kocht und sich immerzu beklagt, dass kein Bier im Haus ist, die vergane Nele, die eine unerfreuliche Kindheit hinter sich hat, der verliebte Jan, der lieber heute als Morgen zurück nach Detroit fliegen würde und letztlich die verletzliche Hannah, der die Umgebung zu schaffen macht. Was sich aus ihrem Gamerwochenende entwickelt, kam für mich ziemlich unerwartet. Und das Ende ist wirklich der Hammer!

Auch machte ich mir einige Gedanken über virtuelle Realität. Schon jetzt ist es manchmal unheimlich schwer, sich von einem Computerspielt zu lösen. Ist man durch Datenbrille und Kopfhörer völlig von der realen Welt abgeschottet, vergisst man sicherlich noch leichter alles um sich herum. Wenn aber eine Software in der Lage wäre, einem genau das zu geben, was man sucht und braucht, hätte sie garantiert großes Suchtpotenzial. Das ist hier sehr packend und nachvollziehbar dargestellt. Auch die Wirkungsweise von Social Media ist knapp, aber hervorragend beschrieben.

Über ein paar kleinere Ungereimtheiten konnte ich gut hinwegsehen. Selbst wenn eine Firma die geheimen Wünsche einer Person kennt, sind sie ja nicht so einfach umzusetzen, besonders wenn Personen dabei eine Rolle spielen. Aber hundert Prozent Realismus waren nicht nötig, um einen tiefen Eindruck zu hinterlassen.

Fazit: Äußerst spannende Schilderung eines Gaming-Wochenendes mit unerwartetem Ausgang für Jugendliche ab 14 Jahren. Was geschieht mit dem echten Leben, wenn einem in einer virtuellen Realität alle Wünsche und Träume erfüllt werden?

Johannes Groschupf: Lost Girl. Oetinger 2017. 240 Seiten, Euro 12,99, ISBN 978-3-8415-0475-3.

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