Anders sein
Friederike, die bei der Annatante aufwächst, hat ungewöhnlich rote Haare. Die Kinder ärgern sie in der Schule und auf dem Schulweg ständig.
„Da kommt die feuerrote Friederike! Feuer! Auf ihrem Kopf brennt’s!“
„Ruft die Feuerwehr!“
Es wird so schlimm, dass ihr Freund, der Briefträger, sogar seine Route ändert, um sie auf dem Schulweg zu begleiten – bis sein Chef davon erfährt.
Doch dann erfährt Friederike, dass sie ihre Haare zum Glühen bringen kann. Das hält die anderen Kinder erst einmal auf Abstand. Später muss sie das Geheimnis um ein Buch in einer geheimnisvollen Sprache lösen, die die Tante nicht lesen kann, in dem aber wichtige Informationen für sie stehen. Dadurch und mithilfe des Katers findet sie heraus, dass sie Dank ihrer Haare fliegen kann. Zusammen mit dem Kater übt sie fleißig, denn das ermöglicht es ihr, in das verborgene Land zu fliegen, in dem es ihr gut gehen wird und in dem ihr Vater lebt.
Keine Hilfe in Sicht
Im ersten Moment fand ich die Friederikes Geschichte nett und teilweise lustig, vor allem, als Friederike sich mithilfe ihrer glühenden Haare bei den anderen Kindern Respekt verschafft. Aber als ich ein wenig länger darüber nachdachte, fand ich sie traurig.
Friederikes Haarfarbe ist sehr ungewöhnlich: Einige Strähnen sind rot wie Paradeiser, der Pony orange wie Karotten, die meisten Haare sehen aus wie dunkelroter Wein. Außerdem hat sie Sommersprossen und ist dick. Sie ist sehr unglücklich, wird ständig geärgert und schikaniert. Sie hat keine Freunde, abgesehen vom Briefträger Bruno – der farbenblind ist, weshalb er ihre ungewöhnlichen Haare gar nicht bemerkt. Aber das weiß sie nicht, immerhin versucht er, ihr zu helfen. (Und bekommt wegen seines Andersseins, das wegen seiner Hilfe auffällt, später auch Schwierigkeiten.) Dennoch, was für eine Botschaft: Das Kind bekommt nur Hilfe von jemandem, der seinen „Makel“ nicht kennt, und von den Leuten, sie genauso sind wie sie.
Immerhin, der Lehrerin tut Friederike leid. Aber sie weiß sich nicht anders zu helfen, als den Kindern Strafarbeiten zu geben. Mit den Kindern zu sprechen kommt ihr nicht in den Sinn. Als sie zum Schulleiter geht, weil Strafarbeiten die Kinder nicht daran hindern, Friederike weiterhin zu ärgern, ist seine Strategie: Keine Strafarbeiten mehr für die ärgernden Kinder, sondern ihr Verhalten einfach ignorieren, dann wird es ihnen langweilig. Zum Ausgleich bekommt Friederike nur Einsen. Wie schrecklich muss das für ein gehänseltes Kind sein, das ja nun denken muss, dass es der Lehrerin egal ist! Abgesehen davon, dass es natürlich gar nicht hilft und die guten Noten eher Neid erwecken. War das die Pädagogik der 70er Jahre? Puh!
Als Friederike ihre Tante, die als Kind ebenfalls rote Haare hatte, danach fragt, ob sie als Kind ebenfalls geärgert und schikaniert wurde, sagt die Tante, dass sie sich an nichts mehr erinnern kann. Was natürlich gelogen ist, was Friederike ganz genau merkt. Auch die Sache mit ihrem Vater: Warum hat er sein Kind bei der Tante zurückgelassen und nicht gleich in dieses wundervolle Land mitgenommen?
Deswegen tat Friederike mir sehr leid, auch wenn sie sich dank der magischen Haare irgendwann immerhin wehren kann.
Ausweg: Flucht
Friederike erfährt zunächst, dass sie ihre Haare zum Glühen bringen kann, später auch, dass sie mit ihrer Hilfe fliegen kann. Unterstützung erhält sie vor allem von dem alten Kater. Sie übt und übt, schließlich merkt sogar die Tante, dass Aussitzen nicht der richtige Weg ist. Schließlich sind sie gut genug und fliegen davon in ein Land, in dem alles besser ist. Auch den Briefträger und seine Frau nehmen sie mit.
Das ist natürlich auf den ersten Blick ein schönes Ende. Friederike wird es gut gehen, sie wird ihren Vater wiedersehen und ihre Tante, ihren Kater und das befreundete Ehepaar bei sich haben. Aber auf den zweiten Blick fand ich es traurig. Es gab für sie keine Möglichkeit, in ihrer Heimat zu bleiben. Die Mobber waren erfolgreich, sie haben jemanden, der anders ist, weggeekelt. Welche Botschaft übermittelt das zuhörenden Kindern, die auf die eine oder andere Art nicht ins Schma ihrer Umgebung passen? Geh weg, such dir einen Ort, an dem du willkommen bist? Und wenn das nicht geht – was bei den meisten Kindern der Fall sein dürfte, – was dann? Dann bleibt es ihnen nur zu träumen, dass sie auch eine magische Fähigkeit hätten, die ihnen hilft, sich zu wehren oder zu fliehen.
Kindern allerdings, die zur (möglicherweise) hänselnden Mehrheit gehören, könnte die Geschichte die Augen öffnen und sie darauf aufmerksam machen, wie fies ihr Verhalten ist. Wenn es damit gelingen könnte, das eine oder andere Kind zumindest nachdenklich zu machen, wäre es sehr schön. Kinder mit einem starken Gerechtigkeitsempfinden werden von der Geschichte sicher angesprochen und bestärkt werden.
Wiener Schmäh
Im Text ist „Paradeiser“ das einzige Wort – zumindest das einzige, das mir aufgefallen ist – das darauf hinweist, dass Christine Nöstlinger Österreicherin war. Die Geschichte sollte also auch für bundesdeutsche Kinder problemlos zu verstehen sein. Bei manchen Sprechern hört man aber ein wenig, dass sie Österreicher sind, vor allem beim Schuldirektor. Das mag ich sehr! Insgesamt ist die Inszenierung sehr schön. Die Sprecher überzeugen alle in ihren Rollen. Hintergrundgeräusche wie das Ticken einer Uhr, das Stapfen von Füßen auf der Treppe und so weiter sind sparsam eingesetzt.
Die Art, wie die Geschichte erzählt ist, gefällt mir sehr gut – klar, Christine Nöstlinger konnte einfach toll schreiben. Vor allem der gelegentliche Sprachwitz gefällt mir gut.
Fazit: An sich eine schöne Geschichte, die aber nicht geeignet sein dürfte, gemobbten Kindern Mut zu machen, weil als einzige Lösung die Flucht angeboten wird. Für Kinder im Grundschulalter
Christine Nöstlinger: Die feuerrote Friederike. DAV 2018. 1 CD, 57 Minuten, Euro 9,99, ISBN 978-3-7424-0762-7.
Sprecherinnen und Sprecher: Brigitte Grothum, Toni Lorentz, Sandra Schwittau, Swetlana Schönfeld, Heiko Pinkowski, Steffi Kühnert, Ina Herrmann, Michael Evers, Michael Rotschopf und andere
__________________________________________________
WERBUNG (*)
Zur Verlagsseite – bei Amazon – im Onlineshop eurer Buchhandlung – und in eurer Lieblingsbuchhandlung.
Ich danke dem Verlag für das Rezensionsexemplar.
(*) Nach dem Telemediengesetz sind Links auf Verlage, Shops und Affiliate-Links (hier: Amazon) als Werbung zu kennzeichnen, übrigens ganz unabhängig davon, ob das Buch ein Rezensionsexemplar ist oder selbst gekauft wurde. Ich bekomme kein Geld von den Verlagen, sie stellen mir lediglich ein Buch zur Verfügung. Das verpflichtet mich zu nichts, ich schreibe auch kritische Rezensionen oder verzichte ganz darauf, ein Buch zu besprechen. Meine Meinung ist nach wie vor unabhängig. Die Links sind ein Service für euch Blogbesucher, auf den ich nicht verzichten möchte. Lediglich über den Amazon-Affiliate-Link verdiene ich etwas Geld – falls jemand etwas bestellt, nachdem er den Link benutzt hat, bekomme ich ein paar Cent.