Elżbieta Pałasz: Bucheckern, Bernstein, Brausepulver. Die Danziger Kindheit von Günter Grass

Elżbieta Pałasz: Bucheckern, Bernstein, Brausepulver. Die Danziger Kindheit von Günter Grass

Drei Geschichten aus der Kindheit: 1934, 1938, 1939

Günter Grass wuchs in der damals noch Freien Stadt Danzig auf, heute Gdansk. Er liebte es zu lesen, zu schreiben und zu zeichnen, war ein guter Schüler. In der ersten Geschichte, die 1934 spielt, Günter ist sieben Jahre alt, wird erzählt, wie er seinen Eltern im Kolonialladen hilft, zur Schule geht, mit seinen Freunden spielt, auf dem Dachboden liest, zum Gottesdienst geht, einen einziehenden Zirkus beobachtet und sich endlich sein großer Wunsch nach einem Hund erfüllt.

1938 ist die Kindheit nicht mehr ganz so unbeschwert, auch wenn sich das Günter nicht so darstellte. Er ist inzwischen Mitglied beim Jungvolk, treibt für seine Eltern die Schulden der Leute ein, die auf Pump gekauft haben, besucht seine kaschubische Verwandtschaft (seine Mutter war Kaschubin), bei der er sich sehr wohl fühlt, erlebt ein Abenteuer mit einer Gans, beobachtet aber auch, wie in der Stadt die Schaufenster jüdischer Geschäfte eingeschlagen werden.

1939 kommt der Krieg nach Polen. In der Wohnstube der Familie Grass hängt neben dem Bild von Beethoven nun eins von Hitler. Einerseits ist Günter freudig erregt über den Krieg, aber auch verwirrt, dass sich alle über den Angriff auf die polnische Post freuen – dort arbeitet sein Onkel Franz. Seine Fragen nach den Onkel werden nie beantwortet, sondern völlig ignoriert. Als Günters geliebter Hund verschwindet, wird ein Mitbewohner aus dem Haus verdächtigt, der keine Hakenkreuzfahne hinaushängt und eher ein Eigenbrötler ist. Genau dieser findet den Hund am Ende jedoch wieder und ist auf einmal ein Held – ebenso wie der junge Mann aus dem Haus, der schon im zweiten Kriegsmonat gefallen ist.

Schwerer Stoff

Ich muss gestehen, dass ich dieses Buch schwierig finde. Die Kinder – dieses Buch ist laut Verlag ab 9 Jahren – werden ja Günter Grass noch nicht kennen. Für sie sind es Kindheitserlebnisse eines Mannes, der einmal ein berühmter Schriftsteller wurde. In der ersten Geschichte werden lustige und spannende Kindererlebnisse erzählt, die einen Einblick in die Zeit erlauben: Was war eigentlich ein Kolonialwarenladen, was bedeutet dieses Wort? Was spielten die Kinder damals und wie sah ihr Alltag aus? Das finden die Kinder sicher interessant und sie werden es auch verstehen.

Schwieriger wird es später. Es werden historische Ereignisse geschildert, ohne sie irgendwie einzuordnen. Günter und sein Freund gehen in die Stadt, hören Lärm und denken, es handele sich um einen Nazitrupp, der sich mit Polen prügelt. Doch es stellt sich heraus, dass jugendliche Schaufenster jüdischer Geschäfte einschlagen.

Günter musste daran denken, wie seine Mutter, aufgebracht über den Umgang der Regierung mit den Juden, gesagt hatte: „Das sind doch auch Menschen!“

Günter und sein Freund machen dann einen Umweg, weiter wird nicht auf diese Szene eingegangen. Was wissen neunjährige Kinder über „den Umgang der Regierung mit Juden“? Was sollen sie mit dieser beiläufigen Szene anfangen, die wahrscheinlich wegen des folgenden Abenteuers mit einer Gans schnell vergessen ist?

Ähnlich ist es auch an anderen Stellen. Bei den polnischen Lesern konnte die Autorin voraussetzen, dass sie wissen, was Kaschuben sind. Aber in der Übersetzung? Was wissen deutsche Kinder darüber? Mehrheitlich nichts, nehme ich an.

Für mich als Erwachsene ist das Buch eine Sammlung interessanter Kindheitserlebnisse von Günter Grass. Ich konnte mich auch darüber amüsieren, dass gelegentlich Personen aus seinen Büchern auftreten: mehrmals kommt beispielsweise ein dreijähriger Junge mit einer Blechtrommel vor. Diese Anspielungen werden Kinder natürlich nicht erkennen.

Insgesamt finde ich, dass das Buch noch nicht für Kinder ab 9 geeignet ist, wenn sie das Buch selbst lesen – dafür fehlt einfach die Einordnung der Ereignisse.

Auch sprachlich ist das Buch teilweise recht anspruchsvoll. In einem Nachwort zur deutschen Ausgabe wird auf einer halben Seite erläutert, wer Günter Grass war. Aber auch dieser Text scheint mir nicht für Kinder geschrieben zu sein. Sätze wie „Der Nationalsozialismus wurde in seiner Familie nicht besonders kritisch hinterfragt“ oder „Dabei hat er das Grauen des Krieges und die Verbrechen der Nationalsozialisten gegen die Menschlichkeit offen beschrieben und war eine wichtige moralische Stimme in Europa“ sind jedenfalls nicht kindgerecht.

Richten sie sich an die Eltern? Vielleicht. Aber man kann ja nicht davon ausgehen, dass ein Buch für diese Altersgruppe von den Eltern vor- oder mitgelesen und entsprechend erläutert und kommentiert wird – was hier aber empfehlenswert wäre.

Zum unbegleiteten Lesen halte ich das Buch daher erst für Jugendliche für geeignet, die bereits einiges über den Nationalsozialismus wissen und vielleicht auch schon einmal von Grass gehört haben. Ob diese allerdings noch Spaß an Schilderungen von kindlichen Spielen und Strandausflügen haben? Mir dagegen hat die Lektüre gut gefallen, ich habe das Buch gerne gelesen. Vielleicht ist es einfach ein schönes Bilderbuch für Erwachsene!

Irritierend finde ich den deutschen Titel. Bernstein aus Günters Sammlung wird immerhin mal erwähnt, an Bucheckern und Brausepulver kann ich mich nicht erinnern.

Fantastische Illustrationen

Was aber ganz toll ist, sind die Illustrationen dieses Buches. Es handelt sich um Collagen, bei denen historische Bilder verwendet wurden. Gesichter sind immer Fotos, was die Bilder sehr lebendig und realistisch wirken lässt, auch wenn die Körper und die Umgebung gezeichnet sind oder aus anderen Materialien aufgeklebt wurden. Besonders beeindruckend finde ich ein Bild, das einen Blick auf das Haus bei Nacht zeigt. Draußen ist es dunkel, durch fast jedes beleuchtete Fenster sieht man ein Hitlerbild an der Wand, außer beim Trompeter.

PS: Nachdem ich diese Rezension fertig hatte, habe ich auf Deutschlandfunk eine Besprechung vom selben Tag entdeckt. Dort wird zum Beispiel auch erläutert, woher der Titel kommt. Diese Anspielung habe ich nicht erkannt, dazu kenne ich mich bei Grass zu wenig aus. In manchem stimme ich mit der Expertenrunde überein, in manchem nicht. Susanne Gaschke findet jedenfalls dieselbe Illustration besonders beeindruckend wie ich.

Fazit: Ein interessantes Buch mit beeindruckenden Illustrationen über die Kindheit von Günter Grass, bei dem mir aber die Einordnung fehlt, sodass ich es erst für Jugendliche empfehle – oder für Erwachsene, die Freude an schönen Bilderbüchern haben. Für jüngere Kinder ist es durchaus geeignet, wenn Eltern es vorlesen, die zweifellos aufkommenden Fragen beantworten und bei einigen der Schilderungen weiterführende Informationen geben.

Elżbieta Pałasz, Joanna Czaplewska, Katja Widelska: Bucheckern, Bernstein, Brausepulver. Die Danziger Kindheit von Günter Grass. Aus dem Polnischen von Thomas Weiler. Susanna Rieder 2018. 48 Seiten, Euro 18,00, ISBN 978-3-946100-60-7.

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