Rezension: Enne Koens: Ich bin Vincent und ich habe keine Angst

Rezension: Enne Koens: Ich bin Vincent und ich habe keine Angst

Auf der Flucht

Ein Junge, mitten in der stockfinsteren Nacht, allein in Wald. Er hat Angst, erwischt zu werden. Vom wem? Was ist passiert? Wird er verfolgt?

Die Handlung macht einen Sprung zurück: Noch sieben Tage bis zu Klassenfahrt. Nun lernen wir Vincent kennen, einen Elfjährigen, der von seinen Klassenkameraden gemobbt wird. Jeden Tag kommt er zu spät zum Unterricht, um ihnen aus dem Weg zu gehen, jeden Tag wird er nach der Schule verprügelt. Vincent berichtet von seinen ganz normalen Schultagen, seinen Gedanken und Sorgen und von seinen Vorbereitungen für die anstehende Klassenfahrt. Er macht Liegestützen, liest in einem Survival-Handbuch, das er fast auswendig kann, und stellt Material für ein Survivalpaket zusammen.

Ein Survival-Kit enthält alles, was man zum Überleben braucht, wo immer man auch sein mag. Ich habe mein gesamtes Taschengeld für das Vervollständigen dieser Dose ausgegeben. Heimlich. Nicht, weil niemand es wissen darf, sondern weil manche Leute manche Sachen sehr seltsam finden.

Doch dann passiert etwas. Ein neues Mädchen kommt in seine Klasse. Jacqueline, genannt „Die Jacke“, ist nicht nur oberflächlich nett zu ihm, sondern interessiert sich sogar für seine Hobbys. Vincent wird dadurch so euphorisch, dass er seine Vorbereitungen schleifen lässt. Doch dann ist es so weit: Abfahrtstag!

Was ist eigentlich normal?

Vincent war schon immer eher ein Einzelgänger, kam aber mit den anderen Kindern passabel zurecht. Doch als Dilan in seine Klasse kam, wurde es richtig schlimm. Vincent geht es wirklich schlecht, doch er will seinen Eltern nichts verraten. Die würden sich nur Sorgen machen. Also arbeitet er ganz alleine einen akribischen Plan aus, wie er die Klassenfahrt überstehen kann.

Ich finde Vincent eigentlich sehr sympathisch und schwer nachzuvollziehen, warum die anderen Kinder sich so gegen ihn wenden. Zwar hat er allerlei tierische Freunde, die in seinem Kopf mit ihm reden, aber davon weiß sonst niemand etwas. Aber schnell wird klar, dass das Oberekel der Klasse ihn ins Visier genommen hat und die anderen Kinder mitmachen, um selbst in Ruhe gelassen zu werden. Davon weiß die neue Schülerin nichts und da sie ein interessanter, selbstbewusster Typ ist, wollen alle anderen gerne mit ihr befreundet sein. Das ist gut für Vincent, aber auch schlecht. Wie man es nimmt …

Vincent ist viel allein, er denkt viel nach und analysiert, was mit ihm passiert. Was ist eigentlich normal, fragt er sich. Seine Pläne sind beeindruckend durchdacht, auch wenn am Ende alles anders kommt und vieles schiefgeht. Dass ein Kind so etwas auf sich nimmt, nur um Frieden vor seinen Klassenkameraden zu finden, ist schlimm.

Trauriges, humorvoll geschildert

Das klingt vielleicht, als wäre das ein durch und durch trauriges, negatives Buch. Das ist aber nicht so. Zwar tat mir Vincent sehr leid, aber ich fand seine Strategien und sein Durchhaltevermögen bewundernswert und die Art, wie er seine Erlebnisse schildert, durchaus humorvoll. Es gibt auch lustige Passagen, zum Beispiels Vincents Versuch, ein Kondom zu kaufen. Teilweise sind Vincents Erlebnisse aber auch ein aufregendes Abenteuer in der Wildnis.

Die ganze Geschichte wird ausschließlich aus Vincents Sicht geschildert und ich fand sie (leider) ziemlich glaubwürdig. Ein schikanierter Junge, der nichts verraten will, Eltern und eine Lehrerin, die nichts sehen oder kapieren, die übliche Dynamik.

Die Gestaltung des Buches überzeugt. Die ersten Seiten, in denen Vincent über seine Empfindungen in der stockdunklen Nacht berichtet, sind schwarz mit weißer Schrift. Ich fühlte mich ein wenig beklommen und hatte Angst, was wohl folgen wird. Die folgenden Kapitel sind ein Countdown: „Noch x Tage bis zur Klassenfahrt“, unterteilt in weitere Kapitel. Danach folgt immer eine Seite (grün mit weißem Text) mit einem Auszug aus Vincents Survivalbuch, zum Beispiel mit Tipps, was man machen kann, wenn man kein Wasser hat. Diese Seiten sind schön gestaltet, die Unterkapitel beginnen mit unterschiedlichen Vignetten.

Der Text lässt sich gut lesen, allerdings fand ich manchmal die Ausdrucksweise nicht passend für einen Jungen seines Alters. Andererseits: Dieser Jungs sitzt viel daheim und liest, also wer weiß, vielleicht passt das schon.

„Ich heiße Vincent und ich habe keine Angst“ ist in der Kategorie Kinderbuch für den Deutschen Jugendliteraturpreis nominiert. Absolut zu recht, wie ich finde!

Fazit: Ein Buch, dem er hervorragend gelingt, die Gefühle eines gemobbten Jungen zu schildern, das aber dennoch teilweise humorvoll und spannend ist und sogar Mut macht.

Enne Koens, Maartje Kuiper: Ich bin Vincent und ich habe keine Angst. Aus dem Niederländischen von Andrea Kluitmann. Gerstenberg 2019. 192 Seiten, Euro 15,00, ISBN 978-3-8369-5679-6.

Ich werde versuchen, alle Bücher zu besprechen, die für den Deutschen Jugendliteraturpreis nominiert sind. Auf einer Übersichtsseite sammele ich Links zu allen Rezensionen.

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Ich danke dem Verlag für das Rezensionsexemplar.

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