Birgit Ebbert: 100 Dinge, die ein Vorschulkind können sollte

Meine Söhne sind schon ein wenig älter, aber ich erinnere mich noch sehr gut an die Zeit, als sie klein waren. Bei Gesprächen unter Müttern wurden die Kinder verglichen und unter die Lupe genommen: Welches Kind kann was, oder eben noch nicht, und woran könnte das liegen. Dabei konnte man leicht nervös werden, wenn das eigene Kind noch nicht so weit war. Nur wenige Mütter waren gelassen genug, um auf das unterschiedliche Entwicklungstempo zu verweisen und sich nicht aus der Ruhe bringen zu lassen. Meist waren das Mütter, die schon ein älteres Kind und Erfahrung hatten. Ich muss also zugeben, dass der Titel: „100 Dinge, die ein Vorschulkind können sollte“ zunächst leicht negative Assoziationen bei mir hervorrief. Ich erwartete nun wieder Dinge zu lesen wie: „Mit soundsoviel Monaten sollte Ihr Kind auf einem Bein springen können.“

Aber nein, dieses Buch ist anders. Birgit Ebbert erläutert zunächst knapp die Entwicklung vom Kleinkind zum Vorschulkind. In dieser Phase lernt jedes Kind sehr viel: Es versteht, sich als eigenständiges Wesen zu begreifen, wird eigenständiger, lernt Regeln kennen, entwickelt seine Grob- und Feinmotorik usw. Auch in der Kindergartenzeit kommen ständig neues Wissen und neue Erfahrungen hinzu, die dazu führen, dass die Kinder bis zum Schulbeginn erstaunlich viel gelernt haben. An dieser Stelle kommt das ABER: Jedes Kind wächst in anderen Verhältnissen auf, in einer kleinen oder großen Familie, in der Stadt oder auf dem Land, mit Tieren oder nicht. Auch die Eltern haben sehr unterschiedliche Interessen. Während die einen ihrem Kind stundenlang vorlesen, basteln die nächsten lieber, und die dritten verbringen jede freie Minute draußen bei Sport und Spiel. Infolgedessen weist jedes Kind sehr unterschiedliche Fähigkeiten auf, während es in einigen Bereichen sehr stark ist, weiß es in anderen, die aber auch für die Schule wichtig sind, weniger gut Bescheid.

Die Kindergärten versuchen, die Vorschulkinder in allen Bereichen zu fördern. Zu diesem Zweck wurden Bildungspläne entwickelt, die die wünschenswerten Entwicklungsschritte jedoch häufig nur schwammig wiedergeben. Birgit Ebbert hat es sich zur Aufgabe gemacht, anhand dieser Rahmenpläne Übungen, Spiele und Aufgaben zu entwickeln, die dazu beitragen sollen, dass die Kinder sich die für den erfolgreichen Übergang zur Schule benötigten Fähigkeiten  aneignen. Diese Spiele und Übungen sind jedoch nicht speziell und abgehoben, vieles davon machen viele Eltern ganz automatisch. So sollen die Eltern ihre Kinder nicht unentwegt bespaßen und auch nicht immerzu mit elektronischen Medien berieseln, sondern eine „stille Zeit“ einführen. Eine tägliche Zeit, vielleicht 15 oder 30 Minuten, in der das Kind sich alleine beschäftigen muss. Dabei wird es sich möglicherweise auch einmal langweilen, es lernt dabei jedoch, selbst Dinge zu finden, mit denen es sich beschäftigen kann, anstatt sich immer auf andere zu verlassen. Dies fördert die Selbstständigkeit.

Die Aufgaben decken verschiedene Bereiche ab. In „Meine  Familie, meine Freunde und ich“ geht es um die Persönlicheitsentwicklung, das Entwickeln sozialer Kompetenzen und die Fähigkeit, Konflikte zu lösen. Das Kapitel „Mit dem ganzen Körper und allen Sinnen“ nimmt die Körperentwicklung in den Blick: das Kennenlernen des eigenen Körpers, Balancieren, Geschicklichkeit und Sinneserfahrungen spielen hier die zentrale Rolle. „Selbstständig die Welt entdecken“ befasst sich mit der Sprachentwicklung, dem Nachdenken über die Welt, den Herausforderungen des Tagesablaufes und der Übernahme von Verantwortung. Das Kapitel „In der Welt der Großen“ dient der Vorbereitung auf die Schule. Reimen, zählen, die Jahreszeiten erkennen, den Schulweg meistern und Rücksichtnahme sind einige der hier behandelten Themen. Alle Vorschläge können problemlos in den Familienablauf eingeplant werden, ohne explizite „Übungsstunden“ einzulegen: Beim Basteln wird der Umgang mit der Schere erprobt, beim Spaziergang das Verhalten an der Ampel. Auch wenn in jeder Familie ein Teil der Vorschläge sicherlich zum normalen Alltag gehört, sind unter den 100 Vorschlägen immer noch ausreichend neue interessante Anregungen für den eigenen Umgang mit dem Vorschulkind zu finden. Abgerundet wird das Buch durch eine Übersichtstabelle, in der deutlich wird, durch welche Aufgabe welche Fähigkeiten gestärkt werden – nützlich, wenn man in einem bestimmten Bereich Definzite erkannt hat und gezielt fördern möchte -, sowie eine Liste weiterführender Bücher und Adressen.

Ein Buch, das allen Familien mit Vorschulkindern nur empfohlen werden kann.

Die Autorin: Birgit Ebbert ist Diplom-Pädagogin und kennt die Anforderungen an Kinder aus ihren langjährigen Tätigkeiten im Bildungsbereich. Sie hält Vorträge und Seminare und veröffentlichte zahlreiche Bücher und Artikel zu den Themen Bildung und Erziehung. Sie ist Geschäftsführerin eines Zentrums für Lernberatung und -begleitung.

Dr. Birgit Ebbert: 100 Dinge, die ein Vorschulkind können sollte. GU 2010, 142 Seiten, Euro 14,99, ISBN: 978-3833816819