Moira Young: Dustlands – Die Entführung

In meinem Lieblingsnetztwerk, dem Texttreff, werden zu Weihnachten keine unoriginellen Wichtelgeschenke verpackt, sondern wir bewichteln uns mit Blogbeiträgen. In diesem Jahr hat Coach Heide Liebmann meinen Blog gezogen:

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Normalerweise bloggt sie hier auf ihrem Business-Blog. Wie sich herausstellte, hat sie nebenher Freude daran, interessante Bücher zu empfehlen.

Aber lest selbst:

In der Vorweihnachtszeit gibt es eine schöne Tradition im besten aller Netzwerke, dem Texttreff: Wir „beblogwichteln“ uns gegenseitig. Dieses Jahr darf ich hier schreiben, eine willkommene Gelegenheit, gleich zwei Fliegen mit einer Klappe zu schlagen: Ich fröhne meiner Leidenschaft für Fantasy-Literatur – und ich breche eine Lanze für das schwierige Geschäft der Literaturübersetzung.
Was nämlich viele wahrscheinlich nicht wissen: Ich bin diplomierte Literaturübersetzerin. Diese Ausbildung habe ich damals aus meiner Leidenschaft für Sprache heraus gewählt, und auch wenn ich mich dann schlussendlich für eine andere berufliche Ausrichtung entschieden habe, so ist mir doch die Wertschätzung für bewusst eingesetzte Sprache geblieben, auch und ganz besonders, wenn es um Übersetzungen geht. Denn ich weiß eben aus eigener Erfahrung, wie anspruchsvoll diese Tätigkeit fast immer ist, gerade dann, wenn es um literarische Texte geht, die konventionelle Sprachpfade verlassen.
Genau das tut Moira Young nämlich in ihrem Roman Dustlands – Die Entführung, den meine Texttreff-Kollegin und gute Freundin Alice Jakubeit so wunderbar übersetzt hat.

Zum Inhalt:

Saba lebt mit ihrem Vater, ihrem Zwillingsbruder Lugh und ihrer kleinen Schwester Emmi am Silverlake, sehr abgeschieden. Das Leben ist hart, der einzige Nachbar lebt weit entfernt. Eines Tages kommen Reiter. Sie entführen den geliebten Bruder und erschießen den Vater. Saba ist auf sich gestellt, mit der kleinen Schwester, die sie nicht leiden kann.
Sie ist wild entschlossen, ihren Bruder wiederzufinden, und so macht sie sich auf den Weg … Es wird eine abenteuerliche Reise durch die Wüste und über Berge. Saba wird gefangen genommen und muss lernen, sich als eine Art Gladiatorin zu behaupten. Sie lernt ein Land kennen, in dem das Leben des einzelnen nichts mehr zählt. Es gibt keine Zivilisation mehr, niemand kennt noch Bücher, und auch Verkehrsmittel existieren nicht mehr. Ein verrücker König herrscht mithilfe einer Söldnerschar und einer Droge.
Rebellinnen kommen Saba schließlich zu Hilfe, aber kann sie ihnen in dieser Welt aus Gewalt und Hass wirklich trauen?

Eine tolle Identifikationsfigur

Saba ist ein starkes und dabei doch verletzliches Mädchen, das schlimme Erfahrungen durchmacht und dennoch niemals aufgibt. Ihre Geschichte, die sie selbst erzählt, hat mich von Anfang an in den Bann gezogen. Wie sie allmählich lernt, ihre Ängste zu besiegen und ihre Vorannahmen zu hinterfragen, wird wunderbar und glaubwürdig entwickelt.
Diese Entwicklung zeigt sich auch in ihrer Sprache, und hier kommt die besondere übersetzerische Leistung zum Tragen. Denn Saba spricht zunächst mit einer sehr reduzierten Stimme: Nicht nur, dass ihr Vokabular insgesamt eher überschaubar ist, sie spricht in ihrer Erzählung auch grammatikalisch falsch, verschluckt Wortendungen, bildet unvollständige Sätze usw.
Doch je weiter die Erzählung und damit die Entwicklung der Protagonistin fortschreitet, umso mehr entwickelt sich auch ihre sprachliche Ausdrucksfähigkeit.

Wie Sprache das Denken beeinflusst – und umgekehrt

Dass unsere Art zu leben und zu denken auch sehr davon beeinflusst ist wie wir sprechen, dass das eine ohne das andere nicht denkbar ist, machen wir uns selten klar. Dieser Roman zeigt den Zusammenhang zwischen Sprache und Denken auf, und zwar auf eine sehr kluge und durchdachte Art. Leider haben das wohl bisher nicht alle Leser verstanden, anders kann ich mir die Rezensionen, die sich über die in der Tat zunächst gewöhnungsbedürftige Sprache beschweren, nicht erklären.
Alice Jakubeit hat es als Übersetzerin verstanden, diese sprachliche Entwicklung der Heldin, die ihre innere Entwicklung spiegelt, ins Deutsche zu übertragen, und sie hat dabei den Mut bewiesen auch für sperrige Formulierungen, die „haken“ und nicht sofort eingängig sind. Genauso muss dieses Buch aus meiner Sicht übersetzt werden, und ich habe viel Respekt für ihre Leistung.
Ich glaube, wer sich auf diese Form der Erzählung einlässt, wird mit einer sehr spannenden Geschichte belohnt, die existenzielle Fragen aufwirft, ohne dabei moralisierend oder belehrend zu sein. Deshalb empfehle ich das Buch uneingeschränkt, würde aber meinen, dass es doch eher für bereits erfahrene Leser geeignet ist.

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Moira Young: Dustlands. Die Entführung. Aus dem Englischen von Alice Jakubeit. Fischer 2011. 464 Seiten, Euro 16,99, ISBN 978-3-8414-2142-5. Verlagsempfehlung ab 14 Jahren.

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Ein Kommentar zu “Moira Young: Dustlands – Die Entführung

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