Eins meiner Kinder (19) hat die Pubertät gerade hinter sich gebracht, das zweite (14) ist vor einiger Zeit eingestiegen. Ich habe also schon Erfahrungen sammeln können und müssen, was man als Mutter erleben kann, muss aber noch einmal durch. Deshalb kommt dieses Buch gerade recht. Ich weiß schon, wo es Probleme geben kann (wobei das zweite Kind vermutlich ganz anders sein wird), habe also einige Kapitel mit gesteigertem Interesse gelesen.
Mama, chill mal! beginnt mit einem “Plädoyer für eine unbeliebte Spezies”, bevor ausführlich erklärt wird, was während der Pubertät im Körper des Kindes vorgeht und welche Folgen das haben kann. Das nächste Kapitel befasst sich mit der Familiendynamik: Wie wirkt sich die Pubertät eines Kindes auf die Geschwister aus? Wie auf die Eltern – und warum? Es wird nicht nur erläutert, warum gleichaltrige Freunde so wichtig werden, sondern auch, dass Familienharmonie überbewertet ist. Kapitel drei zeigt dann eine “etwas andere Art, mit Jugendlichen umzugehen”. Das bedeutet zum Beispiel, authentisch zu bleiben, Schule nicht überzubewerten, gute Gespräche zu führen und die Kinder auch dann zu lieben, wenn sie ruppig sind. Tipps für den Alltag mit Teenagern runden es ab. Im vierten Kapitel wird deutlich gemacht, wie wichtig es ist, die Kinder in dieser schwierigen Phase zu stärken – und wie man das überhaupt schaffen kann. Das fünfte Kapitel befasst sich damit, wie man die Konflikte mit Jugendlichen lösen kann, bevor zum Abschluss zusammengefasst wird, warum das Leben mit Teenagern Spaß macht.
Ich finde dieses Buch extrem hilfreich für alle Eltern, deren Kinder bereits in der Pubertät sind oder wo das kurz bevorsteht. Es erklärt, warum die Jugendlichen so sind, wie sie in der Pubertät eben häufig sind: vergesslich, verträumt, aggressiv, motzig, vermeintlich desinteressiert … Die körperlichen Veränderungen und ihre Folgen werden genau dargestellt. Selbst wenn man das, zumindest in den Grundzügen, schon wusste, hilft einem die Lektüre doch, sich (erneut) zu verinnerlichen, dass die Kinder einen mit ihrem Verhalten nicht ärgern wollen. Für vieles können sie gar nichts, das ist einfach so. Das Buch versucht, Verständnis zu wecken und den Leser darauf aufmerksam zu machen, was wirklich wichtig ist. Ist es das perfekt aufgeräumte Zimmer? Oder vielleicht doch eher, dass das Kind lernt, sich von uns, den Eltern, abzunabeln, selbstständig zu werden?
Sehr wichtig finde ich auch den Hinweis, dass sich nicht nur die Kinder verändern, sondern auch wir Eltern unseren Umgang mit ihnen verändern müssen. Wir müssen ihnen die Möglichkeit einräumen, sich zu entwickeln, dazu müssen sie sich abgrenzen können.
Deshalb ist es eine der wichtigsten Aufgaben als Eltern, sich mit sich selbst auseinanderzusetzen. Je klarer sich Mütter und Väter über ihre Identität, ihre Ängste und Sorgen, ihre Stärken und Schwächen, ihre eigenen Kindheitserlebnisse, ihre Wünsche, Erwartungen und Bedürfnisse sind, desto klarer und abgegrenzter werden sie auch ihren Kindern gegenüber auftreten können. Den Kindern tut das deshalb so gut, weil ihnen dann wiederum leichter fällt, sich als eigenständige Persönlichkeit zu erleben und ihre eigene Identität zu entwickeln. (S. 101)
Nun wird jeder, der sich schon mit pubertierenden Kinder beschäftigt hat, bestätigen können, dass das in der Praxis nicht so einfach ist. Selbst wenn im Prinzip das Verständnis da ist, stehen die Eltern immer wieder vor Situationen, mit denen sie nicht umgehen können. Sie fühlen sich angegriffen, werden bis zur Weißglut gereizt und sind traurig. Was tun? Felicitas Römer lässt uns damit nicht allein. Immer wieder erwähnt sie, dass Unstimmigkeiten normal sind. Zoff gehört dazu, ist erst einmal nichts Schlimmes. Und dann gibt sie den Lesern ganz viele Hilfsmittel an die Hand, wie sie in welcher Situation reagieren könnten. Nicht immer wird es gelingen, das von jetzt auf gleich umzusetzen, weil jeder von uns in seinen Gewohnheiten gefangen ist. Aber nach und nach geht das sehr wohl. Obwohl ich es gerade erst ausgelesen habe, hat mir das Buch schon geholfen. Einfach mal den Mund zu halten, statt die (übliche) spitze Bemerkung anzubringen. Einfach mal zu erwähnen, was ich an meinem Kind toll finde. Einfach mal das Chaos im Kinderzimmer zu ignorieren. Einfach mal ein Thema bis zum Ende zu diskutieren, auch wenn ich die Meinung des Kindes abwegig finde …
Es sind so viele kleine Dinge, die den täglichen Umgang einfacher machen können!
Natürlich gibt es Erziehungsratgeber en masse, dieser hebt sich durch den positiven Blick auf die Jugendlichen aus der Masse hervor. Die Pubertierenden werden hier weder als Kaktus noch als Monster bezeichnet, sondern als das, was sie sind: junge Menschen, die gerade einen entscheidenden Entwicklungsschritt durchmachen. Sehr gut hat mir gefallen, dass ein Thema meist erst anhand einiger Beispiele verdeutlicht, die Reaktionen und Handlungen analysiert werden, bevor dann ganz konkret gezeigt wird, was man tun kann: “So helfen Sie Ihrem Kind, sein Problem selbst zu lösen”, “Was können Sie tun, wenn Ihr Kind Kummer hat”, “Loslassen lernen: 10 Tipps”, “Auf einen Blick: Was tun, wenn …?” usw. Diese Abschnitte garantieren, dass das Buch auch nach dem erstmaligen Durchlesen nicht im Regal versauern muss. Es eignet sich hervorragend, um immer wieder hervorgeholt und zu konkreten Problemen zurate gezogen zu werden – und zwar nicht nur von den Müttern, sondern natürlich auch von Vätern.
Felicitas Römer: Mama, chill mal! Pubertät und trotzdem gut drauf. Patmos 2014. 152 Seiten, Euro 14,99, ISBN 978-3-8436-0528-1.
Zur Verlagsseite – bei Amazon
Ich danke dem Patmos-Verlag für das Rezensionsexemplar.
Ich teile die Skepsis gegenüber Ratgebern, hab das Buch aber trotzdem – oder gerade deshalb – auf die Leseliste gesetzt. Gerade weil hier – so entnehme ich es Deiner Beschreibung – auch mal Unstimmigkeiten erlaubt sind, nicht für alles ein Allheilmittel geboten wird. Und da ich selbst als Schlüsselkind durch die Jugend gegangen bin, kann es sicher nicht schaden, mal zu schauen, wie andere ihre Kinder bzw. nun schon Jugendlichen begleiten, ihnen in stürmischen Zeiten beistehen, ohne allzu aufdringlich zu sein. Danke für die ausführliche Rezension!
Ein Unterabschnitt heißt sogar “Wie Streit hilft”. Darin wird u. a. erklärt, dass es in Familien verschiedene Funktionen erfüllt, miteinander zu streiten, welche das sind und warum es nicht sinnvoll ist, jeden Streit zu verhindern.
Naja, Erziehungsratgeber sind nicht so meins – da prallen oft Theorie und Praxis aufeinander. Man muss einfach locker sein und Verständnis für die Jugendlichen aufbringen, bei denen die Hormone verrückt spielen. Aber für diejenigen, die durch solche Ratgeber sicherer werden, sicherlich ein hilfreiches Buch.
LG,
Heidi, die Cappuccino-Mama
Ich stehe Ratgebern auch zwiespältig gegenüber, aber dieser zeigt wirklich viele Möglichkeiten auf, wie man auch aus verfahrenen Situationen wieder herauskommen kann. Vor allem finde ich die postive, wertschätzende Haltung den jungen Leuen gegenüber sehr angenehm.