Kerstin Lücker, Ute Daenschel: Weltgeschichte für junge Leserinnen

Eine Weltgeschichte extra für Frauen?

Eine Weltgeschichte, die den Beitrag der Frauen hervorhebt – ja, geht das denn? Würde man nicht einen großen Teil der Geschichte unter den Tisch fallen lassen? Natürlich kann man unmöglich eine Weltgeschichte schreiben, bei der man die Männer ignoriert, aber das ist auch überhaupt nicht die Absicht der Autorinnen. Sie zeigen aber, dass es weit mehr Frauen gab, die die Geschicke einzelner Völker beeinflussten, als gemeinhin bekannt ist. Immer wieder kam es vor, dass Frauen an der Seite ihres Mannes oder auch allein große Herrscherinnen wurden oder andere herausragende Leistungen vollbrachten, zum Beispiel in Medizin, Wissenschaft oder Kunst, manche aber sogar auf dem Schalchtfeld, der Männerdomäne schlechthin. Meist gefiel das jedoch den Männern nicht, weil es angeblich wider die weibliche Natur war. Hinterher wurden die Frauen daher oft aus der Geschichtsschreibung gelöscht, wie es Hatschepsut in Ägypten geschah, deren Name aus den Inschriften der Tempel gemeißelt wurde, oder wie in China, wo Passagen über die weiblichen Herrscherinnen einfach aus den Pergamenten geschnitten wurden. Oft wurde ihre Rolle von den Männern später heruntergespielt oder gar bestritten, dass es sich um eine Frau gehandelt hat, wie es der Apostelin Junia geschah, die kurzerhand zu einem Mann names Junio gemacht wurde. Dass der erste Roman von einer Frau geschrieben wurde, Murasaki Shikibu, einer Hofdame am japanischen Hof, ist wenig bekannt, und bis vor Kurzem wusste kaum jemand, dass die Programmierungen für die Mondmission der Amerikaner von Frauen gemacht wurden. Viele dieser oft wenig bekannten Frauen werden in diesem Buch vorgestellt und ihr Beitrag zu einer bestimmten Epoche hervorgehoben. Selbstverständlich tauchen auch die (inzwischen) bekannten Frauen wie Kleopatra, Aischa, Jeanne d’Arc, Marie Curie, Bertha von Suttner, Harriet Beecher-Stowe oder Ada Lovelace auf.

Wenn die Weltgeschichte ein Teil des Bewusstseins der gesamten Menschheit ist, dann müssten in den Träumen der Menschheit unendlich viele verdrängte Frauen auftauchen. Es sind weitaus mehr, als wir in unser Buch aufnehmen konnten. Wir haben nur einen Anfang gemacht, um wenigstens ein paar Frauen aus dem Reich der Träume in das gesellschaftliche Bewusstsein zurückzuholen.

Es ist definitiv schwierig, die Weltgeschichte auf gut 500 Seiten zusammenzupressen. Dabei muss es zu Kürzungen und Auslassungen kommen, es kann immer nur ein Überblick sein. Daher empfand ich die Darstellung von historischen Ereignissen oder Epochen, über die ich recht gut Bescheid weiß, oft als viel zu knapp und vermisste das eine oder andere. In Weltgegenden oder Epochen, wo ich mich nicht so gut auskannte, empfand ich die Lektüre als sehr spannend und informativ. Wenn wir also davon ausgehen, dass das Buch von Jugendlichen gelesen wird, die noch keine tiefergehenden Geschichtskenntnisse haben, wird mein persönliches Lückengefühl wohl keine oder nur eine geringe Rolle spielen. Bei größerem Interesse wird man in anderen Büchern weiterlesen müssen. Immer war es jedoch aufschlussreich, wenn von Frauen die Rede war, von denen ich noch nie gehört hatte, die aber durchaus wichtige, einflussreiche Rollen hatten. Und das kam sehr häufig vor.

Geschichte, spannend erzählt

Die Darstellung lässt sich sehr gut lesen. Die Kapitel sind kurz und die Leser werden nicht mit Geschichtszahlen erschlagen. Diese stehen in Blau auf dem Rand. Man kann sie mitlesen, muss es aber nicht. Wenn man etwas sucht oder eine zeitliche Einordnung benötigt, sind sie aber sehr schnell zu finden. Das ist sehr gut gelungen.

Die einzelnen Ereignisse sind spannend und gar nicht trocken geschildert. Natürlich wurde ein besonderes Augenmerk auf die Frauen gelegt, deren Leben oder Handeln ausführlicher geschildert wurde. Das bringt einen ganz anderen Blick auf die historischen Ereignisse, den ich als sehr spannend und interessant empfunden habe. Außerdem geht es nicht nur um Kriege und große Politik, sondern auch und den Alltag der Menschen, um Kunst oder Kultur.

Das Buch geht weitgehend chronologisch vor, schildert aber die Ereignisse in einer Kultur oder Weltregion zu einer bestimmten geschlossen, bevor zur nächsten übergegangen wird, wodurch es doch zu kleineren Sprüngen kommt. So wandert man beim Lesen zwischen Rom, Byzanz, dem chinesischen Reich, den Arabern, Mongolen, Russen, Osmanen, Briten, Franzosen, Amerikanern usw. hin und her.

Mir gefällt es gut, dass der Blick nicht ausschließlich auf Europa gerichtet ist. Nicht gut finde ich es allerdings, dass Subsahara-Afrika nur am Rande vorkommt: Es wird erwähnt, dass Sklaven von dort geholt wurden und der Kontinent umsegelt wurde. Auf Seite 434 teilen schließlich die Europäer Afrika unter sich auf, aber das war es dann auch. Waren keine Frauen außer Hatschepsut, Kleopatra und der Marokkanerin Fatima al-Fihri, die eine 859 eine Koranschule gründete, die sich zur Universität entwickelte, zu finden? Wirklich? Keine Frauen in den Unabhängigkeitsbewegungen? Was ist mit der Friedensnobelpreisträgerin Leymahr R. Gbowee oder mit Waris Dirie und anderen Frauen, die sich für die Abschaffung der Genitalverstümmelung einsetzen? Ähnlich mau sieht es mit Mittel- und Südamerika aus, wo nur Malintzin erwähnt wird. Sor Juana, Frida Kahlo, Evita Perón, Rigoberta Menchú, mir fallen auf Anhieb zahlreiche Frauen ein, und auch in Nordamerika hätte wenigstens Pocahontas als Vertreterin der indianischen Völker Erwähnung finden können. Ich sehe ein, dass das zu einem Platzproblem geführt hätte, aber eine Weltgeschichte sollte nun einmal die Welt umfassen. So ist das Buch letztlich doch ziemlich eurasienzentrisch.

Aus dem Dunkel der Geschichte

Trotz dieser Kritik bin ich sehr angetan von diesem Geschichtsbuch. Denn damit ist ein Anfang gemacht, Frauen aus dem Dunkel der Geschichte zu holen, zu zeigen, was sie geleistet haben und wie und warum sie immer wieder ins Haus und an den Herd zurückverwiesen wurden. Und vor allem wird das nicht nur Fachleuten gezeigt, die die jeweiligen Frauen möglicherweise seit vielen Jahren kennen, sondern jungen Frauen, die noch am Anfang ihres Weges stehen. Mädchen und junge Frauen können hier sehen, was Frauen zu allen Zeiten zu leisten in der Lage waren, und das, obwohl man nach Kräften versuchte, sie daran zu hindern wurden. Es kann ihnen zeigen, dass es heute zwar auch Hindernisse geben mag, dass diese jedoch im Vergleich zu denen, denen die Frauen früherer Zeiten gegenüberstanden, überwindbar erscheinen.

Ich hoffe, dass weitere Bücher in dieser Art folgen werden!

Das Buch richtet sich explizit an „junge Leserinnen“. Das heißt aber nicht, dass es für Jungen nicht auch interessant und lesenswert wäre. Im Gegenteil! In diesem Fall sind eben einmal die Jungen mitgemeint, ein Phänomen, das Frauen ja nur zu gut kennen.

Fazit: Ein inspirierendes Buch, das zeigt, dass es trotz aller Hindernisse in der Geschichte in allen Kulturen immer wieder Frauen gegeben hat, die zu Herrscherinnen aufstiegen, wissenschaftliche Entdeckungen machten, komponierten, schrieben oder sich in anderen Bereichen hervortaten. Dieses Buch sollte in keiner Bibliothek fehlen! Eine unbedingte Leseempfehlung für Mädchen und Jungen ab 12 Jahren und durchaus auch für Erwachsene.

Kerstin Lücker, Ute Daenschel: Weltgeschichte für junge Leserinnen. Kein & Aber 2017. 517 Seiten, 25 Euro, ISBN 978-3-0369-5760-9.

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Ich danke dem Verlag für das Rezensionsexemplar.

Ein Kommentar zu “Kerstin Lücker, Ute Daenschel: Weltgeschichte für junge Leserinnen

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