Carola Stern, Ingke Brodersen (Hg.): Eine Erdbeere für Hitler. Deutschland unterm Hakenkreuz

Auf acht CDs wird die NS-Zeit aus verschiedensten Blickrichtungen und unter Berücksichtigung ganz unterschiedlicher Aspekte betrachtet. Die historischen Daten über den Aufstieg Adolf Hitlers und der NSDAP, die Entwicklung der Dritten Reiches und der 2. Weltkrieg werden dargestellt und gezeigt, wie sich die politische Lage in Deutschland auf das Leben der Juden auswirkte, wie der Alltag von Jugendlichen beeinflusst wurde, dass Widerstand möglich war und von vielen Einzelpersonen und Gruppen geleistet wurde und wie das Jahr 1945 ablief mit Kriegsende, Entnazifizierung und dem zaghaften Wiederaufbau.

In ihrem Vorwort Mut und Anstand  erklärt Ingke Brodersen, wie es möglich war, dass Hitlers Ideologie auf fruchtbaren Boden fallen konnte.

Wenn einer von sich selbst sagt: „Ich bin der Stärkste, der Mutigste, der Größte von allen“, wendet sich jeder, der das hört, peinlich berührt ab. Angeber sind nicht beliebt. Wenn aber einer WIR statt ich sagt, „Wir sind die Stärksten, die Besten, die Herrenmenschen, die auserwählt sind, über andere zu herrschen“, dann hören viele das gern.

Hans Mommsen stellt in der „Der „Führerstaat“ – Von der Entstehung einer Diktatur den Aufstieg Hitlers, seine politische Taktik, die Entwicklung der NSDAP bis hin zu Hitler als Reichskanzler und Reichspräsident vor. Viele seiner (zeitweiligen) Weggenossen werden in Kurzbiografien vorgestellt: Rudolf, Hess, Erich Ludendorff, Otto Strasser, Joseph Goebbels, Gregor Strasser, Alfred Hugenberg, Hjalmar Schacht, Heinrich Himmler, Ernst Röhm. Wichtige Ereignisse wie der Reichstagsbrand, das Ermächtigungsgesetz oder der Röhm-Putsch werden erläutert.

Was fanden die Jugendlichen so toll an Hitler und seiner Bewegung? Hilke Lorenz erklärt in „Mit dem Führer auf Fahrt“ – Wie die Nationalsozialisten den Alltag eroberten, wie viele Jugendliche die neuen Freiheiten genossen, die sie durch ihre die Mitgliedschaft in den Jugendorganisationen gewannen. Das Wort der Eltern verlor an Bedeutung, vor allem, wenn diese keine Anhänger Hitlers waren. Geländespiele und Fahrten machten Spaß. Aber sie zeigt auch, wie sich Unterricht veränderte, wenn statt eines Chorals am Morgen mit Heil Hitler gegrüßt wurde, die Lehrer an die Front mussten, die Bibel im Religionsunterricht plötzlich anders ausgelegt wurde und kritische, freie Meinungsäußerung nicht mehr möglich war. Manchen machte das Sammeln für die „gute Sache“ großen Spaß, aber aller Leben wurde eingeschränkt, als es Lebensmittel nur noch auf Marken gab.

Mirjam Pressler berichtet von der 14-jährigen Hannelore, die sich jetzt Hannah nennen soll, die mit einer zionistischen Jugendorganisation nach Dänemark geschickt wird, was zunächst wie die Rettung erscheint. In „Himmel und Hölle“ – Von Leipzig nach Theresienstadt wird das Leben des Mädchens in Dänemark geschildert. Schulbesuch ist nicht mehr möglich, auf einem Bauernhof muss sie hart arbeiten, die Erinnerung an das Zuhause verblasst. Auch als die Nazis in Dänemark einmaschieren, hält zunächst niemand für möglich, dass den Juden etwas passiert. Aber dann wird sie eines Nachts abgeholt und nach Theresienstadt deportiert.

Den Alltag in einem Mehrfamilienhaus schildert Ursula Wölfel in „Warum muss ein Soldat töten?“ – Kriegstage und Bombennächte. Zunächst werden die Nachbarn vorgestellt, die sich mehr oder weniger gut vertragen. Ihre politischen Überzeugungen spielen anfangs keine große Rolle. Doch je länger Hitler an der Macht ist, desto mehr verändert sich auch das Leben im Haus. Einige gewinnen an Macht, andere müssen ihre Zunge hüten, die jungen Männer werden eingezogen, werden verletzt, vermisst oder fallen. Im Keller wird ein Luftschutzkeller eingerichtet. Über Kriegsfortschritte freut man sich anfangs noch gemeinsam, auch wenn die politischen Diskussionen seltener werden, zeigen solche Gespräche doch die verschiedenen Meinungen, die Ängste und Sorgen der Hausbewohner. Später bangen alle während der Luftangriffe im Keller, versuchen, aus ihren Lebensmittelzuteilungen das Beste zu machen. Einer der Nachbarn bekommt auffallend häufig Besuch von polnischer Verwandtschaft …

Dass es viele Arten von Widerstand gab, zeigt Hermann Vinke in „Sag nicht, es ist fürs Vaterland“ – Von Menschen, die Widerstand leisteten. Er stellt bekannte Gruppen und Einzelpersonen vor wie die Weiße Rose, Oskar Schindler oder Graf Stauffenberg und die Männer des 20. Juli, aber auch unbekannte(re) wie Cato Bontjes van Beek, die Frauen aus der Rosenstraße oder die Deserteure. Auch jüdischer Widerstand wird anhand der Aufstände im Warschauer Ghetto und im KZ Treblinka gezeigt.

Wie das Kriegsende und die Monate danach verliefen, berichtet Hartmut von Hentig in „1945“ – Das Jahr der Befreiung aus der Sicht eines jungen Offiziers und Kriegsgefangenen. Hier wird über die Haager Landkriegsordnung und die Genfer Konvention ebenso gesprochen wir über die Entstehung der Besatzungszonen, Prozesse, Entnazifizierung und Persilscheine, Displaced Persons, Japans Kapitulation und den Schwarzmarkt. Auch wird eine Bilanz in Zahlen gezogen: Tote insgesamt und der verschiedenen Nationen, zerstörter Wohnraum, Flüchtlinge und Vertriebene.

Abschließend erzählt Carola Stern, in ihrem Nachwort „Durch Feindbilder wächst Hass“ aus ihrem Leben. Von ihrer Begeisterung für die Nazis als Kind und Jugendliche und dem späteren Entsetzen und der Scham, als sie als Erwachsene begriffen hat, wofür sie sich begeisterte. Sie fragt sich, was mit ihrer Menschlichkeit geschehen konnte. Als sie von der Gründung von Amnesty International hörte, gründete sie diese Organisation in Deutschland. Sie endet mit einem Aufruf an die jugendlichen Zuhörer:

Schafft keine neuen Feindbilder. Denkt nicht in Kategorien wie „die Juden“, „die Ausländer“, „die Moslems“, sondern seht immer den einzelnen Menschen an.“

Sie fragt die jungen Menschen, was sie später einmal antworten werden, wenn ihre Enkel fragen, was sie getan haben, um zu helfen: wenn zum Beispiel Rechtsradikale Ausländer verprügelten, in China Dissidenten verfolgt wurden oder afrikanische Kinder keine Schule besuchen konnten, weil sie arbeiten mussten.

Diese 8 CDs sind so ungeheuer voll Wissen, aber auch voll Emotionen. Es werden nicht nur die reinen Fakten vermittelt, sondern auch, was die Menschen damals fühlten, glaubten, dachten, hofften und fürchteten. Dadurch gelingt es, die Zuhörer zu fesseln und nachdenklich zu machen. Das Dritte Reich bleibt nicht länger eine Episode in einem Geschichtsbuch, sondern bekommt Gesichter. An vielen Stellen werden Originaltöne, meist Radioansprachen, eingeflochten, was die Berichte noch authentischer macht.

Im Großen und Ganzen fand ich die Texte sehr gut, wenn mir natürlich manche besser gefielen als andere. Mein 14-jähriger Sohn fand die CDs sehr interessant, bemängelte aber die Zeitsprünge. Alle Texte enthalten Passagen, in denen etwas erklärt wird, gelesen von anderen Sprechern – in einem Buch wären diese Texte wohl in Kästen dargestellt. Das fand auch ich manchmal problematisch, manchmal fügte es sich aber auch wunderbar ein. Bei Mommsen ist es aber tatsächlich manchmal verwirrend. Da wird mittendrin plötzlich die Biografie Goebbels’ eingeschoben, von seinem Selbstmord 1945 berichtet und nahtlos geht es 1934 weiter. Manchmal werden auch Begriffe erwähnt, die die Jugendlichen kaum kennen werden. So heißt es beispielsweise ohne weitere Heranführung, es handele sich nicht „um Trauerarbeit im Sinne von Margarete Mitscherlich“. Das kommt zum Glück jedoch nur selten vor, insgesamt ist alles gut verständlich.

Die einzelnen Kapitel oder Abschnitte werden von wechselnden Sprechern gelesen, sodass das Zuhören weder anstrengend noch ermüdend ist.

Ich finde diese Textsammlung hervorragend und wünsche mir, dass möglichst viele Jugendliche sie kennenlernen. Sie eignet sich sicher auch für den Einsatz im Unterricht zu verschiedenen Themengebieten, allerdings weiß ich, wie wenig Zeit im Geschichtsunterricht überhaupt zur Verfügung steht – mein Sohn hat in der 10. Klasse gerade mal eine Stunde Geschichte pro Woche, da muss alles im Schnelldurchlauf behandelt werden. Um so wichtiger ist es, solche Medien zur Verfügung zu haben, um den Jugendlichen diese schreckliche Zeit näherzubringen.

Für Jugendliche ab 14 Jahren.

Cover_ErdbeerefürHitler

Carola Stern, Ingke Brodersen (Hg.): Eine Erdbeere für Hitler. Deutschland unterm Hakenkreuz. Igel Records 2005. 8 CDs, 510 Minuten, Euro 39,99, ISBN 978-3-89353-196-7.

Sprecher: Sabine Falkenberg, Friedhelm Ptok, Bernt Hahn, Udo Wachtveitl, Stefan Wilkening, Silvia Fink, Thomas Krause, Dominik Freiberger

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Ich danke dem Verlag für das Rezensionsexemplar.