Schneestürme sind in Neuengland nichts Ungewöhnliches. Allerdings ist dieses Mal ein besonders heftiger Stum angekündigt. Deshalb wird der Nachmittagsunterricht in der Highschool abgesagt, nach dem Mittagessen stehen die Busse bereit, um die Schüler abzuholen. Scotty, genannt Weems, ärgert sich, denn eigentlich sollte an diesem Nachmittag das erste Basketballspiel der Saison stattfinden, für das er sehr viel trainiert hat. Von seinem Freund Jason lässt er sich überreden, nicht mit dem Bus zu fahren, sondern ihm noch eine Weile im Werkenraum bei seinem Projekt zu helfen, einer Art Go-Kart, genannt Flammenwerfer. Später will Jasons Vater die drei Freunde (dazu gehört noch Pete) auf dem Heimweg von der Arbeit abholen.
Die drei Jungen überreden den Werkenlehrer, sie in den Raum zu lassen, der sich selber eilig aus dem Staub macht. Als sie ihre Arbeit beenden, kommen ihnen erste Zweifel, ob Petes Vater das schaffen kann. Sie schauen sich in der Schule um und treffen auf einen Lehrer, zwei weitere Schüler aus der Zehnten und zwei Schülerinnen aus der Neunten. Alle Schüler sollten privat geholt werden, der Lehrer blieb als Aufsicht. Aber niemand kommt. Die Handys bekommen keine Verbindung, auch das Festnetztelefon funktioniert nicht. Durch die Glaswand kann man beobachten, wie die Schneehöhe zusehends steigt. Schließlich entschließt sich der Lehrer, Hilfe zu holen. Nur mit Mühe gelingt es, die Tür zu öffnen. Der Lehrer macht sich auf den Weg und verschwindet. Die Schüler sind auf sich allein gestellt und müssen die Nacht in der Schule verbringen.
Als Erstes fällt der Strom aus, zum Glück gibt es eine funzelige Notbeleuchtung. Am Morgen bemerken die Schüler, dass auch die Heizung nicht mehr funktioniert. Sie haben Hunger und frieren. Der Schnee liegt mittlerweile so hoch, dass im Erdgeschoss kaum noch Licht durch die Fenster fällt. Alle Türen sind abgeschlossen, zunächst haben die Kinder Skrupel, irgendwo einzubrechen, aber schließlich bleibt ihnen nichts anderes mehr übrig. Und es schneit und schneit …
Als Ich-Erzähler berichtet Scotty im Rückblick über die Ereignisse während des Nor’easters, der nicht die üblichen sechs oder zwölf Stunden andauernd, sondern eine ganze Woche. Ich habe zunächst einen Moment gebraucht, um mich an seinen Berichtsstil zu gewöhnen, dann ließ sich das Buch sehr flüssig lesen. Sieben Schüler, die tagelang auf sich selbst angewiesen sind, da kommt es zu Streitigkeiten und Rivalitäten, auch, weil zwei hübsche Mädchen dabei sind. Plötzlich sind ganz andere Fähigkeiten gefragt als sonst. Es ist egal, ob einer ein Matheass oder ein toller Sportler ist, viel wichtiger ist, ob er Ideen hat, wie man heizen kann, wie und wo man an Nahrung oder Decken kommt. Wer bleibt ruhig und überlegt, wer gerät in Panik? Am Anfang betrachten die Schüler die Sache noch als Abenteuer, aber irgendwann wird ihnen bewusst, dass die abholwilligen Eltern mit ihren Autos womöglich gestrandet oder gar gestorben sind und spätestens, als ein Teil des Daches einstürzt, ist allen klar, dass siesich in Lebensgefahr befinden.
Letzlich passiert während eines großen Teils des Buches gar nicht so viel, aber die gruppendynamischen Prozesse sind sehr interessant. Letztlich wird den Schülern klar, dass keine Rettung unterwegs ist, weil niemand weiß, dass sie noch in der Schule sind – sicherlich werden es auch manche Busse nicht bis an ihr Ziel geschafft haben. Sie müssen sich also selber helfen – nur wie? Hier wird es noch einmal sehr spannend …
Ein Roman, der sehr mit Stimmung und Atmosphäre arbeitet – mir wurde richtig kalt beim Lesen, obwohl ich gemütlich neben dem Weihnachtsbaum saß – und der sicherlich nicht nur für Jugendliche interessant ist. Sprachlich fand ich ihn anfangs gewöhnungsbedürftig, aber letztlich okay. Ich denke, dass Jugendliche, die sich noch frisch in die Gefühle von Teenagern eindenken können, die verschiedenen Reaktionen der Protagonisten noch besser nachempfinden können. Die beschriebenen „Typen“ gibt es an jeder Schule. Sicherlich wird jeder Leser motiviert, darüber zu spekulieren, wie er sich in einer vergleichbaren Situation wohl verhalten würde.
Michael Northrop: Kälte, Übersetzt von Ulrich Thiele, Loewe 2012, 256 Seiten, Euro 6,95, ISBN 978-3-7855-7428-7 bei amazon