Marlene Fritsch, Volker Konrad: Der Tag, an dem Paul wieder bunt wurde

Vom Schwarz-Weiß-Sehen und Schwarz-Weiß-Denken

Nachdem Paul mit Oma alte Schwarz-Weiß-Fotos angesehen hat, fragt er sie, wann sie denn bunt geworden seien. Er denkt, dass früher die ganze Welt so ausgesehen hat. Oma erklärt ihm, was es mit den Fotos auf sich hat. Ihr fällt dann aber auf, dass nicht immer alles so bunt ist, wie es aussieht, weil es in den Köpfen der Menschen viel Schwarz oder Weiß gibt. Paul findet das trotz Omas Erklärung schwer zu verstehen. Als die beiden in die Stadt fahren, hören sie eine Frau, die auf Ausländer schimpft – und plötzlich verliert sie alle Farben und ist nur noch schwarz-weiß! Die beiden sind verblüfft. Noch zweimal passiert ihnen etwas Ähnliches. Doch dann erwischt es sogar Paul, als er behauptet, Mädchen könnten nicht Fußball spielen. Zu Hause haben die beiden viel zu bereden. Was kann Paul tun, damit ihm das nicht noch einmal passiert?

In diesem Moment geschieht etwas. Paul zwinkert mit den Augen und kneift sich ins Bein, aber er träumt nicht: Die Frau ist tatsächlich schwarz-weiß geworden!
„Hast du das gesehen?“, flüstert Paul? Oma ist genauso verblüfft wie er. Sie hat sogar den Mund offen stehen und starrt die Frau mit großen Augen an.

Über die Wirkung von Worten

Paul und seine Oma machen sich ziemlich ernsthafte Gedanken. Doch zunächst bleibt alles nur Theorie. Als dann wirklich Menschen ihre Farben verlieren, fängt Paul an, darüber nachzudenken, welche Sätze und Formulierungen es sind, die diese Wirkung haben. Und warum sagen die Menschen solche gemeinen Dinge überhaupt? Mit seiner Oma notiert er, was gesagt wurde, und sie formulieren die Sätze um. So versteht er, wie man seine Gedanken und Gefühle ausdrücken kann, ohne pauschal zu verurteilen. Außerdem lernt er, dass es nie gut ist, andere Meinungen einfach nachzuplappern.

„Und es gibt noch einen Grund“, sagt Oma nach einer Weile. „Angst.“
„Angst? Vor was denn?“, fragt Paul.
„Vielleicht vor dem, was wir nicht kennen.
Oder auch vor Menschen, die wir nicht kennen. …

Vorurteile? Ich doch nicht! Oder vielleicht doch?

Der Text ist ziemlich umfangreich für ein Bilderbuch, mit einem hohen Anteil an wörtlicher Rede. Die Bilder, die mir gut gefallen, sind knallig bunt und recht flächig, zeigen aber dennoch interessante Details, die die Szenen sehr lebendig und zeitgemäß wirken lassen. Die Personen, die ihre Farbe verlieren, fallen in dem sie umgebenden Farbreichtum besonders auf.

In diesem Buch wird ein Thema kindgerecht aufbereitet und erklärt, das gerade jetzt und eigentlich immer sehr aktuell ist. Was denken und reden wir über andere Menschen? Und auf welche Weise tun wir es? Welche Worte wählen wir dafür und welche Wirkung haben wir? Welche Folgen hat es, wenn wir unbedacht nachplappern, was andere sagen? Dass die Menschen, die Vorurteile äußern, ihre Farbe verlieren, zeigt den kleinen Zuhörern sehr eindrücklich, wann etwas nicht richtig läuft. Besonders gut gefällt mir, dass das auch dem netten Paul passiert, der sich doch gerade so viele Gedanken darüber gemacht hat. Das zeigt, dass es jedem passieren kann. Wie leicht glaubt man, was andere einem erzählen. Für Kinder gilt das in noch viel stärkerem Maß, denn sie lernen ja, der Autorität der Erwachsenen zu vertrauen. Doch Pauls Erlebnis macht deutlich, wie wichtig es ist, erst einmal über die Dinge nachzudenken und sich eine eigene Meinung zu bilden. Und wenn man dann eine Meinung hat, kommt es noch sehr darauf an, wie man sie äußert. Paul bekommt seine Farbe zurück. Hoffentlich kann das Buch dazu beitragen, dass die Leserinnen und Leser ihre Farbe nicht so oft verlieren.

Ein wichtiges Buch darüber, was Schwarz-Weiß-Denken und Vorurteile und aus unserem Denken, Reden und Handeln machen. Kindern von 5 bis etwa 8 Jahren kann es dabei helfen zu verstehen, warum und wie leicht Vorurteile entstehen können. Ich kann mir vorstellen, dass es sich gut zum Einsatz in Kindergartengruppen oder Grundschulklassen eignet.

Cover_Fritsch_DerTagandemPaul

Marlene Fritsch, Volker Konrad: Der Tag, an dem Paul wieder bunt wurde. Patmos 2016. 30 Seiten, Euro 12,99, ISBN 978-3-8436-0829-9.

Zur Verlagsseite – bei Amazon – über Buchhandel.de – und in der Buchhandlung um die Ecke.

Ich danke dem Verlag für das Rezensionsexemplar.