Rezension: Will Gmehling: Ein ganzer Sommer unter dem Himmel

Mehr als hundert Tage im Freibad

Als die drei Bukowski-Geschwister im Hallenbad ein kleines Kind vor dem Ertrinken retten, erhalten sie zur Belohnung Dauer-Freikarten fürs Freibad.

Ich habe das auch nur kurz erzählt, damit du verstehst, wie es kam, dass wir ab jetzt jeden Tag im Freibad verbrachten. Jeden einzelnen Tag. Den ganzen Sommer lang. Vom 15. Mai bis zum 15. September. Über einhundert Tage. Auch wenn es regnete.

Die Familie hat wenig Geld, Urlaub gibt es nicht, also laufen die Kinder jeden Tag weit durch die Stadt, um ins Schwimmbad zu gehen.

Am Anfang setzt sich jedes Kind ein Ziel. Alfred, genannt Alf, 10, will vom Zehnmeterturm springen. Katinka, 8, möchte richtig gut kraulen lernen und 20 Bahnen schaffen. Der siebenjährige Robbie, der bisher nur das Seepferdchen hat, soll richtig schwimmen lernen.

Wider Erwarten wird das den Kindern nicht langweilig. Die drei lernen alle Mitarbeiter und die Stammgäste kennen, Alf wirft ein Auge auf die Tochter des Bademeisters, das Bad ist bei jedem Wetter anders, sie haben schöne und weniger schöne Erlebnisse, arbeiten an ihren Zielen und entwickeln gegen Ende einen abenteuerlichen Plan: einmal im Schwimmbad übernachten …

Wasserträume

Man könnte denken, dass die Geschichte der drei ungleichen Geschwister schnell langweilig werden könnte. Was soll im Freibad schon viel passieren? Aber tatsächlich erleben Alf, Katinka und Robbie so einiges. Vor allem aber entwickeln sie sich in diesem Sommer sehr weiter. Sie alle arbeiten an ihren Zielen, und ja, wenn man hundert Tage am Stück übt, kommt man weiter. Katinka vertreibt sich die Zeit außerdem damit, aus einem Buch Französisch zu lernen, weil sie sich vorgenommen hat, später Model zu werden und in Paris zu leben. Alf erlebt zum ersten Mal, wie es ist, verliebt zu sein. Und der verschlossene Robbie, der kaum spricht, macht interessante Beobachtungen und schafft es immer wieder, seine Geschwister zu verblüffen.

Alf ist es, der die Geschichte dieses Sommers erzählt. Die anfängliche Überwindung, in das zu Saisonbeginn eiskalte Wasser zu steigen. Das Gefühl, barfuß durchs nasse Gras zu laufen. Rutschen bis zum Abwinken. Auf einen Sprungturm steigen, von oben hinunterschauen und am liebsten wieder herunterklettern. Pommes vom Kiosk holen. Sich unter der Dusche wieder aufwärmen, wenn man völlig durchgefroren ist … Ich fühlte mich zurückversetzt in meine Kindheit – genau so ist es und es scheint sich erstaunlich wenig verändert zu haben.

Enge Geschwisterbande

Die Kinder sind drei sehr starke Charaktere.

Robbie hat vom Arzt bescheinigt bekommen, dass mit ihm alles in Ordnung ist, aber er redet kaum und wirkt deutlich jünger als sieben Jahre, gerade im Vergleich zu seiner nur etwas älteren Schwester. Seinen Geschwistern sind Diagnosen ohnehin egal, Robbie ist so, wie er ist. Sie kümmern sich um ihn, passen auf ihn auf und bringen ihm schwimmen bei. Immer wieder gibt es jedoch Momente, in denen er seine Geschwister überrascht, weil er vieles sieht und hört und mitbekommt – er spricht üblicherweise nur nicht darüber.

Katinka hat einen sehr starken Willen, ist eigensinnig und manchmal rotzfrech, aber auch verantwortungsvoll und achtet auf Robbie. Wie sie ihren Plan in die Tat umsetzt, aus einem Buch Französisch zu lernen, ist beeindruckend. Dass das in der Realität vermutlich nicht klappen dürfte, zumindest was die Aussprache angeht, ist ja egal. Manchmal benimmt sie sich allerdings auch unmöglich, vor allem, wenn sie ihren Kopf durchsetzen will.

Alf macht sich viele Gedanken über sein Leben und das seiner Familie. Er ist verantwortungsbewusst und sehr selbstständig, aber sehr unsicher, wenn es um seine Gefühle gegenüber Johanna geht – also völlig normal für einen Jungen, der zum ersten Mal verliebt ist.

Die Erwachsenen spielen allesamt nur Nebenrollen. Die Bukowski-Eltern sind toll, meist gelassen, aber auch mal sauer, wenn es nötig ist. Sie lassen sie ihren Kindern viel Freiheiten und verlassen sich auf sie. Vertrauen und Zusammenhalt sind in dieser Familie selbstverständlich. Aber dennoch hat auch diese Familie kleine Ecken und Kanten, vor allem Katinka mit ihrem Eigensinn macht es den anderen manches Mal schwer.

Spaß machen die verschiedenen Menschen im Bad: die so unterschiedlichen Bademeister – einer zum Fürchten, einer zum Gernhaben –, der Kioskverkäufer, die alten Damen, die, wie sich herausstellt, keine Angst haben vom Zehner zu springen, die drei Jungs aus Mali, mit denen Katinka Französisch üben möchte usw.

Das perfekte Sommerfeeling

Die Geschichte wird mit viel Humor erzählt, ich habe häufig geschmunzelt. Aber auch Ernsteres wird nicht ausgespart. Die schlechte finanzielle Situation der Familie wird mehrfach thematisiert, aber die Kinder haben kein Problem damit, dann gibt es eben keine Pommes, egal. Gelegentliche Begegnungen mit einem Obdachlosen werden von den Kindern ganz unterschiedlich wahrgenommen. Während Robbie die Idee entwickelt, später Flaschensammler zu werden, sieht Alf die problematischen Seiten eines solchen Lebens. Auch Rassismus kommt zur Sprache, als ein Klassenkamerad sich abfällig über die Jungen aus Mali äußert. Das Schöne ist, dass solche Themen nie aufgesetzt wirken.

Auf den ersten Blick scheint in dem Buch nicht sehr viel zu passieren, aber wenn man genau darüber nachdenkt, geschieht eine ganze Menge: Aufregendes, Empörendes, Lustiges, Nachdenkliches, Spannendes, Rührendes … Ein schönes Buch, das zu lesen richtig viel Spaß gemacht hat und das trotz des eingeschränkten Settings kein bisschen langweilig war!

Nominiert für den Deutschen Jugendliteraturpreis 2020 – Sparte Kinderbuch.

Fazit: Eine Humorvolle Geschichte über lange Sommertage, die drei Geschwister im Freibad verbringen. Viele kleine Erlebnisse, scharf beobachtet und liebevoll erzählt für Kinder ab 10 Jahren.

Will Gmehling: Freibad. Ein ganzer Sommer unter dem Himmel. Peter Hammer Verlag 2019. 160 Seiten, Euro 14,00, ISBN 978-3-7795-0608-9.

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