Im zweiten Band erzählt Estelle, ebenfalls ein Mitglied des Zirkels, aus ihrer Sicht. Die Leser erfahren, wie sie nach Favilla gekommen ist und warum sie sich sehnlich wünscht, von dort wegzukommen. Zunächst hat sie verstörende Träume, die erschreckend realistisch sind, dann sieht sie die Bilder auch bei Tag. Sie hat Angst, dass sie verrückt wird. Schließlich fällt es ihr immer schwerer, sich zu konzentrieren, vor allem bei ihrer Paradedisziplin, dem Bogenschießen. Sie hat Angst vor dem, was man mit ihr machen wird, falls sie nicht mehr gut genug für den Zirkel ist. Da eröffnet sich ihr eine große Chance.
Ich finde es sehr interessant, was sich für mich dadurch änderte, dass die Erzählperspektive gewechselt hat. Charaktere, die ich im ersten Band sympathisch fand, wurden mir plötzlich weniger sympathisch und umgekehrt. Es gelingt wieder, diese düstere, unheimliche Atmosphäre aufzubauen, die auch den ersten Band auszeichnete. Vor allem die Schilderung des Gedankenunterrichts löste regelrechte Beklemmungen bei mir aus. Durch Estelles Erinnerungen und Rückblicke bekommen die Leser Einblicke in eine zweite Bevölkerungsgruppe, die Schwarzgewändler. So erweitert sich der Blick auf das Land Lavis. Die Schilderungen des Unterrichts nehmen weniger Raum ein als im ersten Band, dafür spielt der Zirkel eine wichtige Rolle. Im letzten Drittel überschlagen sich dann plötzlich die Ereignisse und es wird richtig spannend. Es zeigt sich erneut, dass kein Schüler weiß, wem er trauen kann und wem nicht.
Das Ende ist sehr abrupt, das fand ich für einen Cliffhanger schon heftig.
Nach der Leseprobe von Band 3, also ziemlich versteckt, fand ich noch eine Übersicht über die Lehrenden und ihre Fächer, die ich hilfreich fand, die aber sichtbarer sein sollte. Im vorderen Buchdeckel ist wieder die Karte von Larvis zu finden, im hinteren Buchdeckel ein Plan von Favilla. Den hätte ich mir schon im ersten Band gewünscht, ich kann mir damit den Ort einfach besser vorstellen.
Am Ende des Buches gibt es wieder ein Interview mit Bernhard Hennen. Die einleitenden Worte, eine Seite lang, sind identisch mit Buch 1. Die folgenden Fragen unterscheiden sich. Würde ich nicht eine Rezension schreiben, hätte ich das Buch an dieser Stelle entnervt zugeklappt, weil ich dachte, es ist komplett identisch. Ich musste mir erst Band 1 holen, um das zu vergleichen. Es folgen wieder Kurzinterviews mit den beiden Autoren, bei denen nur die drei ersten Fragen (mit Ankreuzantwort) sich unterscheiden. Ich kann mir kaum vorstellen, dass das jemand liest und empfinde es als Seitenschinderei.
Ich bin nicht ganz so begeistert wie von Band 1. Natürlich war ich sehr neugierig, wie es weitergeht und hatte dann das Gefühl, durch den Wechsel der Protagonisten wieder zurück an den Anfang geworfen zu werden, weil auch Estelle erst einmal ihre Geschichte erzählte. Das war zwar schon interessant, Estelle ist mir auch sehr sympathisch bzw. fühlte ich mit ihr mit, aber die Handlung im Internat kam dadurch nicht so recht voran. Zwar gab es auch einige Antworten, dennoch hatte ich am Ende das Gefühl, noch mehr Fragen als vorher zu haben. Im Gegensatz zu den meisten Protagonisten kennen die Leser den Grund für Lucas’ Verhalten am Schluss, aber wir wissen immer noch nicht so recht, wer die Guten und wer die Bösen sind. Für meinen Geschmack bleibt zu viel im Vagen. Ob das besser wird, wenn im dritten Band schon wieder jemand anderes erzählt? Noch bin ich neugierig genug und habe mir Band 3 bestellt. Ich hoffe sehr, dass das Tempo, das die Handlung am Schluss aufgenommen hat, nicht wieder verplätschert, wenn Noah seine Geschichte erzählt. Und wehe, der Cliffhanger wird nicht aufgeklärt! Aber wie soll das bei einem Erzählerwechsel gehen …?
Obwohl die Handlung gewisse Schwächen hatte, war ich vor allem durch die Ereignisse am Ende genug gefesselt, um unbedingt wissen zu wollen, wie es weitergeht. Also gibt es auch für die Fortsetzung eine Leseempfehlung von mir für alle ab 14.
Natalie Matt, Silas Matthes: Kings & Fools 2. Verstörende Träume. Oetinger 34 2015. 224 Seiten, Euro 9,99, ISBN 978-3-95882-070-8.
Zur Buchseite – bei Amazon – und in eurer Lieblingsbuchhandlung.
Ich danke dem Verlag für das Rezensionsexemplar.