Der gute Vorsatz: normal sein
Am letzten Ferientag der Sommerferien beschließt Anouk, ihr Leben zu ändern. Sie will endlich dazugehören. Das bedeutet, normale Klamotten zu tragen und nicht irgendwelche ungewöhnlichen Kleidungsstücke, die ihre Mutter als Opernkostüme näht. Das bedeutet, nicht mehr Metal zu hören, sondern Pop. Und das bedeutet, dieses blöde Spiel auf ihrem Computer zu installieren, weil die anderen Mädchen sie sicher wieder nach ihrer virtuellen Familie fragen werden. Aber alle Vorsätze gehen schief: Das T-Shirt-Geld geht für CDs drauf (Metal, klar), also muss sie ein auffälliges Wickeloberteil anziehen, und der Computer schafft die Installation nicht. In der Wartezeit beginnt Anouk, am Computer Tagebuch zu schreiben: Mein Leben mal eben.
Heute Morgen habe ich mir Punkt 5 meiner Liste vorgenommen und mich geschminkt.
Eyeliner,
Kajal,
Wimperntusche.
Es war sehr schwierig, ich hab ungefähr zehn Versuche gebraucht, bis ich nicht mehr aussah wie ein Zombie. Aber weil ich schon um zwanzig nach vier aufgewacht war, hatte ich noch viel Zeit zum Frühstücken.
Zwei Mütter, ein Vater und ein großes Durcheinander
Anouk hat es wirklich nicht leicht. Sie lebt mit zwei Müttern, hat aber an sich auch ein gutes Verhältnis zu ihrem Vater, dem Samenspender. Sie findet das alles okay, möchte aber natürlich trotzdem nicht, dass die anderen tuscheln und sie als Lesbe bezeichnen. Eigentlich hat sie auch nicht die geringste Lust, so zu sein, wie die anderen Mädchen, aber andererseits wünscht sie sich sehnlichst eine Freundin. Vielleicht könnte es das neue Mädchen werden, das in ihre Klasse kommt? Aber Missgeschick jagt Missgeschick. Und dann ist dann noch der neue Junge in der Klasse, der genauso ein Außenseiter ist wie sie, den sie aber trotzdem manchmal ganz cool findet.
Hell yeah!
Irrungen, Wirrungen
Ich hatte sehr, sehr viel Spaß beim Lesen dieses Buches. Als Tagebuch geschrieben, erfahren wir Leser alles nur aus Anouks Sicht. Anouk ist sehr sympathisch, aufgeweckt, aber auch verwirrt, weil sie noch nicht so recht weiß, wo ihr Leben hingehen soll. Das heißt, insgeheim weiß sie es schon, aber im Moment wäre es ihr wichtiger, ein akzeptiertes Mitglied der Klassengemeinschaft zu sein. Ihr Versuch, eine Freundschaft mit dem neuen Mädchen anzubahnen, muss zahlreiche Höhen und Tiefen durchlaufen, ebenso wie ihre Beziehung zu Kumpel Moritz. Das ist alles so lebendig und oft lustig geschildert, dass ich viel lachen musste. Selbst in dramatischen Momenten konnte ich mir öfter ein Schmunzeln nicht verkneifen. Obwohl Anouks Lebensverhältnisse sich sehr vom Durchschnittsjugendlichen unterscheiden, sind ihre Unsicherheit, ihre Suche nach ihrer Persönlichkeit und ihre Gefühlsverwirrungen so normal, dass sich die meisten Leser gut in sie hineinversetzen werden können.
Moritz ist irgendwie ein schräger Typ, den ich meist sympathisch, aber zwischendurch auch recht egoistisch fand. Lore bleibt relativ blass, auch wenn ihre Lebenssituation am Ende noch eine wichtige Rolle spielt. Die beiden Mütter und Anouks Vater sind richtige Originale, einerseits sind alle drei recht cool und locker, aber ich konnte auch gut nachvollziehen, dass sie für Anouk oft anstrengend und manchmal nervig sind.
Ein paar Sachen habe ich gestern genau so gemacht, wie es auf meiner Liste steht:
- Ich habe nicht in meinem Zimmer gehockt.
- Ich habe nicht in meinen Büchern gelesen.
- Ich hab mehr Zeit für alles andere.
Das Tagebuch lässt sich super lesen. Anoul schreibt jugendlich locker in ihrer Sprache, manchmal durchaus etwas sprunghaft, aber immer nachvollziehbar. Manchmal hat sie auch sehr tiefgründige Gedanken über das Leben im Allgemeinen und ihr Leben im Besonderen. Da Anouk Listen liebt, die sie abarbeiten will, finden sich immer mal wieder welche im Buch. Manches ist auch typografisch hervorherhoben. Immer wieder kommentiert sie ihre Erlebnisse metaltypisch mit „Hell no!“ oder „Hell yes!“.
Fazit: Anpassen oder zu seiner Persönlichkeit stehen? Freunde um jeden Preis? Metal oder Pop? Anouk muss sich über ihr Leben klarwerden und lässt die Leser ab 12 Jahren an ihrem Gefühlschaos teilhaben.
Nikola Huppertz: Mein Leben, mal eben. Coppenrath 2017. 256 Seiten, Euro 12,99, ISBN 978-3-649-66990-6.
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Ich danke dem Verlag für das Rezensionsexemplar.