Christine Naumann-Villemin, Annick Masson: Der böse liebe Wolf

Es reicht!

Der Wolf, die Hexe, die Gespenster, der Riese und der Hai haben die Nase voll. Aber endgültig! Warum sind sie in allen Geschichten immerzu die Bösen? Kein Wunder, dass alle immer Angst vor ihnen haben. Also veranstalten sie eine Demo vor dem Haus der Schriftstellerin. Energisch klopft der Wolf an.

„Wir wollen … ich will, dass mich die Leute lieb haben!“
„Lieb? Sie wollen, dass die Leute Sie lieb haben?“
Die Schriftstellerin ist ein bisschen genervt.
Doch dann wird sie nachdenklich:
Eigentlich hat doch jeder ein Recht auf Liebe, oder etwa nicht?

Sie verspricht dem Wolf, über sein Problem nachzudenken. Nach einer unruhigen Nacht hat sie eine Idee: Der Wolf muss erst lernen, wirklich lieb zu sein. Wie geht das denn? Der Wolf macht bereitwillig alles mit, was die Schriftstellerin sich überlegt hat. Danach schafft er es sogar, mit vielen kleinen Kaninchen zu spielen, ohne auch nur eins zu fressen. Toll! Doch am Ende diesen anstrengenden Tages hat er Hunger. Wird er nun doch die Kaninchen fressen?
Das völlig überraschende Ende werde ich natürlich nicht verraten. 😉

Harte Arbeit für den Imagewandel

Die Schriftstellerin findet das Anliegen des Wolfs verständlich und beschließt, ihm zu helfen. Doch anstatt ihre Fantasie spielen zu lassen und sich einen netten Wolf auszudenken, versucht sie, sein Wesen von Grund auf umzukrempeln. Zuerst sieht es so aus, als wäre sie damit erfolgreich. Aber auch hier gilt, dass man den Tag nicht vor dem Abend loben soll …

Jeder hat ein Recht auf Liebe

Der Wolf, der direkt zu Anfang ein wenig bedrohlich wirkt (vor allem auf dem Titel ist er doch sehr grimmig), wird den Lesern schnell sympathisch. Ganz offensichtlich will er sich wirklich ändern, hört mit der Schriftstellerin klassische Musik, macht Yoga und lässt sich die Krallen feilen. Als die vielen Kaninchen um ihn herumhüpfen, hält man doch mal kurz den Atem an, aber nein, er ist wirklich entspannt. Es sieht also so aus, als wäre die Strategie der Schriftstellerin aufgegangen. Doch sie hat etwas Entscheidendes vergessen: Früher oder später muss auch der entspannteste Wolf mal etwas essen.

Lustiges Spiel mit Klischees

Der Text ist nicht zu lang, gut verständlich und oft komisch. Viele Stellen werden typografisch hervorgehoben. Die Bilder – mal ganzseitig, mal mehrere kleinere auf einer Seite – wirken sehr dynamisch. Die Farben sind nicht knallig, sondern angenehm und natürlich. Besonders schön ist, wie hier mit den genretypischen Charakterzuschreibungen gespielt wird. Selbst die kleinen Zuhörer werden schon Geschichten kennen, in denen der böse Wolf auftaucht, zum Beispiel Rotkäppchen, Der Wolf und die sieben Geißlein oder Die drei kleinen Schweinchen. Den Wunsch des Wolfs, geliebt zu werden, kann dennoch jeder nachvollziehen. Die Erfahrung, dass es nicht so leicht ist, sich zu ändern, trotz aller guten Vorsätze, haben vermutlich auch die Kinder schon einmal gemacht. Und so werden sie zwar erschrocken über das Ende sein, aber es auch verstehen.

Fazit: Eine spannende Geschichte mit Überraschungen über einen bösen Wolf, der in der Literatur endlich lieb dargestellt werden möchte, für Kinder von 3 bis 5 Jahren.

Christine Naumann-Villemin, Annick Masson: Der ̶b̶̶ö̶̶s̶̶e̶ liebe Wolf. Aus dem Französischen von Gabriele Stein. J.P. Bachem 2017. 24 Seiten, Euro 12,95, ISBN 978-3-7616-3190-4.

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Ich danke dem Verlag für das Rezensionsexemplar.